Das Standesrecht verbietet es in Deutschland Ärzten, Werbung für ihre Leistungen zu betreiben. Doch in Zeiten, da Patienten in Bewertungsportalen nach ihrem Arzt suchen, stehen auch Mediziner vor der Herausforderung, ihre Kernkompetenzen zu kommunizieren und über (ihre) Leistungen zu informieren.
Auch Arztpraxen sind wirtschaftliche Unternehmungen, die Kunden (sprich: Patienten) gewinnen und binden wollen und sich im Wettbewerb mit den Kollegen vor Ort präsentieren dürfen. Oberstes Prinzip ärztlicher Arbeit ist allerdings nicht die Gewinnmaximierung, sondern das Wohlergehen der Patienten.
So heißt es in der 2017 vom Weltärztebund (WMA) verabschiedeten „Deklaration von Genf“, die den antiken Hippokratischen Eid modernisiert hat und heute als Grundlage der ärztlichen Ethik gilt: „Als Mitglied der ärztlichen Profession gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein. (…) Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.“
Werbung oder Information?
Das gilt natürlich auch für das (noch) ungeborene Leben. Passt es dann, wenn eine Arzt – wie im Fall der Gießener Medizinerin Kristina Hänel geschehen – zum Wohlergehen der Patientinnen auf seiner Homepage über einen Link eine PDF-Datei zum Download anbietet, die allgemeine Informationen zum Schwangerschaftsabbruch und zu dessen Durchführung in der Praxis enthält?
Eins steht fest: Seit 1993 ist mit der Reform des Paragraphen 218 ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland rechtswidrig, aber straffrei. Oberstes Gebot ist, dass die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung in letzter Konsequenz bei der Schwangeren liegt. Will sagen, ein Schwangerschaftsabbruch verstößt nicht gegen geltendes Recht, wenn eine Frau innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate abbricht und zuvor an einer Konfliktberatung teilgenommen hat. Ebenso ist eine Abtreibung erlaubt, wenn sie aus medizinischen Gründen erfolgt oder wenn die Patientin infolge einer Vergewaltigung schwanger wurde.
Rechtswidrig, aber straffrei
Ist es also Werbung für eine Dienstleistung oder schlichtweg Informationspflicht, wenn ein Arzt auf seiner Homepage über die Rechtslage und die medizinischen Optionen eines Schwangerschaftsabbruches aufklärt? Gibt es ein Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch?
Im Streit darüber haben jetzt Antiabtreibungsaktivisten den alten, fast vergessenen Strafrechtsparagraphen 219a wieder ans Licht geholt, der die Werbung für Abtreibung unter Strafe stellt und aufgrund dessen die Gießener Medizinerin Ende 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde. Während diese in Revision geht und eine entsprechende Petition an den Bundestag auf den Weg gebracht hat, spitzt sich jetzt der Streit bis hinein in die frisch gekürte Große Koalition zu.
„Es sind christlich motivierte Abtreibungsgegner, die gezielt nach solchen Ärzten suchen und sie anzeigen“, sagt DLF-Redakteurin Christiane Florin. „Die Verurteilung ist für diese Gruppen ein Erfolg.“ Weil sie die Ärzte nicht wegen der von ihnen vorgenommenen (straffreien) Schwangerschaftsabbrüche nicht belangen können, gehen sie stattdessen gegen ihre angebliche Werbung dafür vor. Das sorgt für Rechtsunsicherheit.
Christliche Aktivisten schüren Rechtsunsicherheit
Um hier Klarheit zu schaffen, hatten die SPD sowie zuvor schon Linkspartei und Grüne Gesetzentwürfe zur Aufhebung des Paragrafen 219a vorgelegt, über die der Bundestag in 1. Lesung Ende Februar 2018 debattiert hatte. Dabei hatte die SPD-Fraktionschefin Eva Högl betont, die Position ihrer Partei sei „ganz klar: Paragraf 219a muss gestrichen werden“. Denn der Schwangerschaftsabbruch sei eine medizinische Dienstleistung für Frauen in Notlage, über die Ärzte sachlich informieren müssten, ohne sich der Gefahr eine Strafverfolgung auszusetzen. Solange Abtreibung grundsätzlich erlaubt sei, müsse ein Arzt darüber aufklären können, gab auch SPD-Gesundheitsexperte Larl Lauterbach zu Protokoll.
Nach dem Neustart der GroKo ist der SPD-Vorstoß in der Abtreibungsdebatte zwar erst einmal wieder Makulatur, doch der Streit zwischen SPD und Unionspolitikern über das Werbeerbot für Schwangerschaftsabbrüche geht bereits in die nächste Runde. Auf Eva Högls jüngste Tweet-Auslassung gegen die „widerlichen Lebensschützer*innen in der Union“, für die sie sich mittlerweile entschuldigt hat, reagierte CSU-Generalsekretär Markus Blume mit der Replik, der SPD-Politikerin seien „wohl alle Sicherungen durchgebrannt. Nicht der Schutz des Lebens ist widerlich, sondern die Äußerungen von Frau Högl“.
SPD nimmt Kanzlerin in die Pflicht
Unversöhnlich auch der Ton zwischen SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und dem neuen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der in einem Interview mit Bild am Sonntag gesagt hatte: „Mich wundern die Maßstäbe: Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos.“ Mit dieser Einlassung, konterte darauf Lauterbach, mache Spahn die Debatte nur noch schwerer: „Der Vorwurf, die Frauen kümmerten sich mehr um den Tierschutz als den Schutz ungeborener Kinder, kommt in einem Ton daher, den wir nicht brauchen.“ Der Minister solle sich vielmehr hinter die Frauen, die sich diese Entscheidung nicht leicht machen, und die Ärzte stellen“, denn solange Abtreibung grundsätzlich erlaubt sei, müsse ein Arzt darüber aufklären können.
Im Koalitionsstreit über die Neuordnung des Paragraphen 219a will nun die neue Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) Kanzlerin Merkel persönlich in die Pflicht nehmen, eine Lösung herbei zu führen, die im Interesse aller sei. Sie wolle eine rechtliche Regelung, bei der eine Verurteilung wie im Falle der Gießener Ärztin nicht mehr möglich ist: Information sei keine Werbung“, und bei der ganzen Debatte fühle sie sich „um 20 oder 30 Jahre zurückersetzt“.
In der Tat: Es geht nicht um eine Flat oder Zehnerkarte für den Schwangerschaftsabbruch, sondern um Rechtssicherheit bei der Information darüber, was juristisch erlaubt und medizinisch möglich ist. „Die Kanzlerin hat der SPD-Fraktion zugesichert, dass auch die CDU eine Lösung im Sinne der Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte und der Frauen möchte“, sagt die SPD-Bundestagabgeordnete Josephine Ortleb. Jetzt warte man auf einen Vorschlag der Bundesregierung. Das müsse zeitnah geschehen, mahnt Ortleb und ergänzt: „Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir alle Möglichkeiten zu einer Änderung des Paragraphen 219a auf dem Tisch behalten.“
2 Kommentare
Kristina Hänel ist keine Gynäkologin, sondern Allgemeinmedizinerin!
Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Artikel umgehend korrigiert.