Deutsche Behörden haben so oft wie nie zuvor auf private Kontendaten zugegriffen. Das Bundeszentralamt für Steuern registrierte bis Ende September 688.608 Anfragen. Damit ist die Millionengrenze bei Kontenabfragen bis zum Jahresende in greifbare Nähe gerückt.
In den ersten neun Monaten des Jahres 2019 erfolgten durch die Behörden 100.000 Zugriffe mehr auf private Konten, als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Jetzt fordern Datenschützer eine Überprüfung der rechtlichen Grundlage. „Ich halte eine Evaluierung des Kontenabrufverfahrens für dringend notwendig“, erklärt der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber, in der „Welt am Sonntag“. Die Zeitung hatte über das stark gestiegene Interesse der Behörden an den Finanzdaten der Bürger berichtet und sich dabei auf Informationen aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) berufen. Jeder Kontenabruf sei ein „Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“, so Kelber.
Datenschützer bezweifelt Verhältnismäßigkeit
Vor allem die Zahl der Abrufe durch Gerichtsvollzieher steigt seit Jahren stetig. Deshalb stellt sich für Kelber die Frage, ob „die aktuelle Ausgestaltung dieses aus ordnungspolitischen Gründen eingeführten Instruments noch verhältnismäßig“ ist. Auch eine Personenverwechselung ist, so der Datenschutzexperte, nicht ausgeschlossen. Kerber bemängelt in der Sonntagszeitung einen fehlenden Schwellenwert für Zugriffe. Diesen gab es früher bei Abfragen von Gerichtsvollziehern. Doch seit Ende 2016 dürfen Gläubiger auch bei Beträgen unter 500 Euro einen Kontenabruf beantragen. Das führt zu steigenden Zugriffszahlen. So stammen zwei von drei der bisherigen Anfragen im Jahr 2019 von Gerichtsvollziehern. In der Summe waren es 452.750 Kontenanfragen (Vorjahr: 415.197 Anfragen).
Suche nach Vermögenswerten
Das Bundesjustizministerium verteidigt diese Vorgehensweise bei der Praxis zur Aufdeckung von Vermögenswerten. Die Übermittlung von Kontodaten stelle „einen wesentlich schwächeren Grundrechtseingriff dar als es ein Freiheitsentzug wäre“, so das BMF gegenüber der Zeitung. Eine Verhaftung durch den Gerichtsvollzieher sei gemäß Paragraf 802g Zivilprozessordnung zur Vollstreckung von Geldforderungen auch zulässig.
Kontenabrufverfahren wurden ursprünglich zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung und der Terrorismusabwehr eingeführt. Mit der Zeit bekamen immer mehr Stellen die Möglichkeit, Kontendaten der Bürger abzufragen: Seit 2005 greifen Finanzämter und Sozialbehörden auf die privaten Daten zu. Seit 2013 können auch Gerichtsvollzieher die Kontodaten einsehen.
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Quelle: rb, dts