Glaubt man den Umfragen, so befürwortet die Hälfte der Deutschen die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens. Doch im Wahlkampf spielt das Thema keine Rolle.
1.200 Euro monatlich bedingungslos, ohne Anträge, ohne Verpflichtungen. Für das wissenschaftliche Forschungsprojekt „Grundeinkommen“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wurden jetzt aus über zwei Millionen Bewerberinnen und Bewerbern 122 Menschen ausgewählt, um an und mit ihnen drei Jahre lang die Risiken und Nebenwirkungen des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) erstmals wissenschaftlich zu erforschen. Ihre einzige Gegenleistung: alle sechs Monate einen Fragebogen ausfüllen.
Die Langzeitstudie soll klären, ob und wie der bedingungslose Geldsegen die EmpfängerInnen verändert, und zieht deshalb noch eine Kontrollgruppe aus Menschen zwischen 21 und 40 Jahren mit möglichst gleichen Eigenschaften und Lebenssituationen hinzu. „Wir wollten in die Mitte der Gesellschaft zielen und auch Menschen mit einem solchen Grundeinkommen ausstatten, die ihre Ausbildung hinter sich haben und am Beginn ihrer Erwerbskarriere und Familienbildung stehen“, sagt Jürgen Schupp vom DIW zu dem im April 2021 gestarteten Pilotprojekt gegenüber der ARD. „Entwickeln diese Menschen jetzt mehr Gemeinsinn, führt es womöglich auch zu weniger Burnout, treffen sie vielleicht mutigere Entscheidungen in ihrem Erwerbsleben?“
Freiheit oder Abhängigkeit?
Holger Schäfer, Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit beim Institut der deutschen Wirtschaft (DIW) in Köln, hat da bereits konkrete Befürchtungen: „Wenn jetzt der Staat hergeht und sagt, ich nehme dir die Notwendigkeit ab, für dich selbst zu sorgen, und übernehme das, dann mache ich die Leute nicht frei, sondern schaffe Abhängigkeiten – Abhängigkeit von einem Sozialstaat, der bis ins Absurde aufgebläht wird.“
Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium (BMF) lehnt das BGE kategorisch ab: „In einer offenen Gesellschaft ist ein individuelles, bedingungsloses und in seiner Höhe existenzsicherndes BGE aus Sicht des Beirates nicht umsetzbar“, heißt es in einer unveröffentlichten Expertise, über die das Handelsblatt berichtet. Würden alle Bürger in Höhe des derzeit geltenden Existenzminimums abgesichert, müsste das BGE für Erwachsene 1.208 Euro und für Kinder 684 Euro monatlich betragen. „Selbst wenn man die anderen Sozialleistungen gegenrechnet, entsteht mit der Einführung des BGE ein Finanzierungsbedarf von knapp 900 Milliarden Euro jährlich.“ 70 Prozent der verfügbaren Haushaltseinkommen in Deutschland würden – so die Gutachter – dann umverteilt. Ein existenzsicherndes BGE sei „überhaupt nicht mehr aufkommensneutral zu finanzieren“.
Parteien-Positionen zum BGE
Entsprechende Bedenken hegen offensichtlich auch die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien. In den zur Bundestagswahl am 26. September veröffentlichten aktuellen Wahlprogrammen findet sich denn auch nirgends die explizite Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. CDU/CSU und FDP sind erwartungsgemäß ohnehin dagegen, die AFD wittert sogar einen „Zuwanderungsmagneten“, und auch die SPD will allenfalls die Grundsicherung überarbeiten, aber das von ihr angestrebte Bürgergeld keinesfalls bedingungslos gewähren. Die Linke will laut Wahlprogramm zwar eine sanktionsfreie „Mindestsicherung von 1.200 Euro einführen, die nicht gekürzt werden kann“, aber ausdrücklich nur für jene, „die es brauchen“.
Die Grünen sind da experimentierfreudiger und „begrüßen und unterstützen“ laut Wahlprogramm Modellprojekte, „um die Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu erforschen“. Ein solches Modellprojekt ist z. B. der aus Privatspenden finanzierte Verein „Mein Grundeinkommen“, der 800 Menschen über mehrere Jahre hinweg jeweils ein Grundeinkommen von jeweils 1.000 Euro auszahlt. Die bereits 2014 gestartete Initiative will beweisen, dass ein Leben mit BGE keinesfalls in der Hängematte endet. Die Menschen würden auch weiterhin einer erfüllenden Arbeit nachgehen, aber kreativer und gemeinnütziger werden, behauptet der Gründer des Vereins Michael Bohmeyer: „Die Debatte wird seit Jahrzehnten voll von ideologischen Glaubenssätzen geführt. Alle mutmaßen, was wohl passiert, wenn so ein Grundeinkommen käme, und wir glauben, es braucht jetzt einfach Praxisbeispiele, damit die Debatte substantiell geführt werden kann und wir der Einführung einen Schritt näher kommen.“
BGE – eine Frage der Zeit?
Eine „Europäische Initiative Grundeinkommen“ will deshalb sogar einen Gesetzesvorstoß auf EU-Ebene erreichen. Statt der dafür erforderlichen einen Million Unterstützerunterschriften hat die Initiative europaweit allerdings erst 144.000 sammeln können; in Deutschland kamen lediglich nur 45.000 Unterschriften zusammen. Und das obwohl sich allein in Deutschland für das eingangs erwähnte Pilotprojekt des DIW mehr als zwei Millionen Personen angemeldet hatten. „Dass sich zwei Millionen Menschen für das Pilotprojekt Grundeinkommen beworben haben, heißt offenbar nicht, dass sich all diese Menschen auch politisch für das Grundeinkommen engagieren“, resümiert Ronald Blaschke, Deutschland-Koordinator dieser europäischen Bürgerinitiative, Anfang September gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Auch wenn immer wieder öffentlich über das BGE nachgedacht wird und sogar das DIW das Thema zum Anlass eines groß angelegten Forschungsprojektes macht, ist das bedingungslose Einkommen weit davon entfernt, auch nur ansatzweise mehrheitsfähig zu sein. Für den international renommierten Ökonom Philip Kovce allerdings nur eine Frage der Zeit: „Noch ist das bedingungslose Grundeinkommen eine parteiübergreifende Minderheitenposition in Deutschland. Aber wenn Sie sich zum Beispiel die Jugendorganisationen der Parteien anschauen, dann sehen Sie: Die meisten Parteien sind nur noch eine Generation vom bedingungslosen Grundeinkommen entfernt“, zitiert ihn der WDR auf seiner Website „Eure Fragen zur Bundestagswahl“.