Die Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler entfällt, wenn der Patient ärztliche Empfehlungen missachtet. So hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden und damit eine erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Arnsberg abgeändert.
Die Witwe eines 2015 im Alter von 45 Jahren verstorbenen herzkranken Mannes verklagte das Krankenhaus auf Schadensersatz wegen einer angeblich fehlerhaften Behandlung ihres Ehemanns. Der Hausarzt hatte diesen aufgrund des Verdachts auf eine „instabile Angina pectoris“ ins Krankenhaus eingewiesen. Erste Untersuchungen dort bestätigten den Verdacht einer Erkrankung der Herzkranzgefäße. Trotz der Warnungen der Ärzte verließ der Mann wenige Tage später das Krankenhaus. Er war damit unzufrieden, daß am Wochenende keine ärztlichen Untersuchungen durchgeführt wurden.
Einige Tage später riet ihm der Hausarzt erneut dringend zu einer Krankenhausbehandlung und wies ihn acht Tage später mit der Diagnose „Angina pectoris“ in ein anderes Krankenhaus ein. Der Patient ging dort auch hin und vereinbarte einen Termin für eine kardiologische Untersuchung. Diese sollte vier Tage später erfolgen. Eine sofortige stationärer Aufnahme lehnte er ab. Noch vor dem vereinbarten Termin starb der Ehemann. Der Notarzt stellte als Todesursache „Herzversagen“ fest. Daraufhin verklagte die Witwe das Krankenhaus wegen einer angeblich fehlerhaften Behandlung. Sie forderte 2.000 Euro Schmerzensgeld, 4.550 Euro Beerdigungskosten sowie Unterhalt für sich und die 1997 und 2002 geborenen Kinder in Höhe von monatlichen mindestens 5.000 Euro.
Nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm die Klage abgewiesen. Der Klägerin komme, so der Senat, aufgrund des ganz erheblichen Mitverschuldens ihres verstorbenen Ehemanns keine Beweislastumkehr zugute. Sie könne nicht nachweisen, dass ihr Ehemann infolge von Behandlungsfehlern im Krankenhaus an einer Herzerkrankung gestorben sei.
Aus dem Urteil:
Grundsätzlich habe die Anhörung des medizinischen Sachverständigen mehrere, jedenfalls in ihrer Gesamtheit auch als grob zu bewertende Behandlungsfehler bei der Aufnahme und weiteren Behandlung des Verstorbenen im dem Krankenhaus ergeben. Nach der zugrunde zu legenden Dokumentation des Krankenhauses sei es im Rahmen der Anamnese versäumt worden, bei dem Ehemann, der einen erhöhten Cholesterinwert gehabt habe, das Rauchverhalten und den genauen Zeitpunkt, zu dem der Patient zum zweiten Mal Thorax-Schmerzen verspürt habe, zu erfragen. Dabei sei der Patient fälschlicherweise nicht als Risikopatient eingestuft und die Behandlung nicht darauf ausgerichtet worden. Deswegen sei es neben einer Reihe durchgeführter, gebotener Untersuchungen versäumt worden, einen zusätzlichen Blutwert (Troponinwert) zu bestimmen und ein weiteres EKG zu machen. Hinzu komme die versäumte Gabe eines blutverdünnenden, schmerzlindernden Arzneistoffes (ASS). Dessen Gabe entspreche bei bestehendem Verdacht auf eine akute koronare Herzerkrankung dem medizinischen Standard.
Im Rahmen der Beweisaufnahme habe allerdings nicht geklärt werden können, ob der Patient überhaupt an einem Herzinfarkt verstorben sei und ob die festgestellten Behandlungsfehler hierfür mitursächlich gewesen seien. Der fehlende Nachweis gehe zulasten der Klägerin, der trotz der groben Behandlungsfehler keine Beweislastumkehr zugutekomme. Eine solche scheide nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.11.2004, Az. BGH VI ZR 328/03) aus, wenn ein Patient in vorwerfbarer Weise ärztliche Anordnungen oder Empfehlungen missachte, hierdurch eine mögliche Mitursache für seinen Gesundheitsschaden setze und dazu beitrage, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden könne.
Hiervon sei im vorliegenden Fall auszugehen: Der Ehemann der Klägerin habe sich nach dem ersten Krankenhausaufenthalt – entgegen dem Rat seines Hausarztes, der ihn auf die Risiken hingewiesen habe – nicht erneut in stationäre Behandlung begeben, sondern lediglich einen Termin zur kardiologischen Abklärung in einem Krankenhaus vereinbart. Da er bis zur weiteren Untersuchung verstorben sei, habe er in erheblichem Maße durch seine stetige Weigerung, sich entsprechend dem ärztlichen Rat zu verhalten, dazu beigetragen, dass sein Herzleiden nicht weiter abgeklärt und behandelt werden konnte.
PM OLG Hamm vom 30.4.2018
Az. 26 U 72/17 – Das Urteil ist rechtskräftig