Der Bundesgerichtshof hat die Pflichten einer Schwimmbadaufsicht konkretisiert und klärt gleichzeitig die Beweislastfrage bei Badeunfällen. In seinem Urteil vom 23. November 2017 hat der BGH die Überwachungs- und Rettungspflichten von Personen definiert, die mit der Aufsicht in Schwimmbädern betraut sind. Außerdem hat er klargestellt, dass bei grob fahrlässigen Pflichtverstößen des Aufsichtspersonals der Schwimmbadbetreiber beweisen muß, daß er für den Gesundheitsschaden des Badegastes nicht verantwortlich ist.
Grund des Urteils war der Unfall eines Kindes in einem kommunalen Schwimmbad. Die 12-Jährige hatte sich unter Wasser mit einem Arm im Befestigungsseil einer Markierungsboje (die den Übergang zwischen zwei Schwimmbereichen markiert) verfangen.
Nachdem die Badeaufsicht bemerkt hatte, dass die Boje abgesenkt war, befragte sie zunächst zwei Kinder, ob sie das Befestigungsseil verknotet hatten. Das hatten sie nicht. Daraufhin bat die Aufsichtsperson einen 13 oder 14 Jahre alten Jungen, zur Boje zu schwimmen, um die Ursache zu finden. Als dieser nur „etwas Glitschiges“ feststellen konnte – das Wasser war trübe, weil es sich um ein naturnahes Bad handelte – holte einer der beiden Bademeister zunächst seine Schwimmbrille im Gerätehaus, stieg ins Wasser und überprüfte die Boje selbst. Dabei fand er unter Wasser den leblosen Körper des Mädchens. Er löste das Befestigungsseil und brachte das Kind an Land, wo es wiederbelebt wurde. Durch den Sauerstoffentzug entstanden irreparable Hirnschäden. Das Unfallopfer ist seither schwerstbehindert und wird zeitlebens pflegebedürftig bleiben.
Die durch ihre Eltern vertretene Klägerin behauptet, bei pflichtgemäßem Handeln der Badeaufsicht hätte dieser nach ein bis zwei Minuten auffallen müssen, dass die Boje abgesenkt war. Eine sofort eingeleitete Rettung hätte innerhalb von einer Minute erfolgen können. Bei entsprechendem Verhalten der Bademeister wären die eingetretenen Schäden vermieden worden. Ihre Rettung sei jedoch um mindestens drei Minuten verzögert worden.
Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht war die Klage abgewiesen worden. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass ihre Gesundheitsschäden bei einer um drei Minuten schnelleren Bergung nicht eingetreten wären.
Die Entscheidung des BGH
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Vorinstanz hat, nach Meinung der BGH-Richter, fehlerhaft allein auf die von der Klägerin behauptete Verzögerung der Rettung abgestellt. Richtig sei es jedoch zu prüfen, wie lange es bei pflichtgemäßem Verhalten gedauert hätte, das Unfallopfer zu retten und ob bei Einhaltung dieser Zeit die Gesundheitsschäden vermieden worden wären.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof die Pflichten der Badeaufsicht wie folgt konkretisiert:
„Zwar besteht keine Verpflichtung zur lückenlosen Beobachtung eines jeden Schwimmers. Die Schwimmaufsicht ist jedoch verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser fortlaufend zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken daraufhin zu überwachen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Beobachtungsort so wählen, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht werden kann, was gegebenenfalls häufigere Standortwechsel erfordert. Zu den Aufgaben der Aufsichtspersonen in einem Schwimmbad gehört es weiter, in Notfällen für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen. “
Das Berufungsgericht muss nunmehr prüfen, wie lange es unter Beachtung dieser Kriterien gedauert hätte, die Notlage der Klägerin zu erkennen und sie zu retten. Weiterhin ist festzustellen, ob die eingetretenen Hirnschäden der Klägerin vermieden worden wären, wenn ihre Rettung innerhalb dieser Zeit erfolgt wäre. Für den Fall, dass sich dies nicht beweisen lässt, geht das nicht zum Nachteil der Klägerin, sondern zum Nachteil der Beklagten, sofern das Berufungsgericht das Verhalten der Badeaufsicht als grob fahrlässig bewertet (Beweislastumkehr). Die Rechtslage ist in dieser Hinsicht mit der im Arzthaftungsrecht vergleichbar. Hier wie dort handelt es sich um Pflichten die spezifisch auf den Schutz von Leben und Gesundheit gerichtet sind. Die Verletzung der Schutzpflichten der Schwimmaufsicht ist, wenn ein Badegast einen Gesundheitsschaden erleidet – nicht anders als bei ärztlichen Pflichtverstößen – dazu geeignet, aufgrund der komplexen, im Nachhinein nicht mehr exakt rekonstruierbaren Vorgänge im menschlichen Organismus erhebliche Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineinzutragen, so dass es der Billigkeit entspricht, für den Fall einer groben Pflichtverletzung dem Geschädigten die regelmäßige Beweislastverteilung nicht mehr zuzumuten.
Quelle: PM BGH vom 28.11.2017
Urteil vom 23. November 2017 – III ZR 60/16