Immer mehr Flüchtlinge reisen mit zuvor gekauften oder ge- und verfälschten Ausweispapieren nach Europa, und dann vor allem nach Deutschland. Und die Behörden sind hierzulande (fast) machtlos. Es fehlt an Mitarbeitern und technischer Ausstattung, um dagegen vorzugehen.
„Wer ein Ausweispapier, das für einen anderen ausgestellt ist, zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht, oder wer zur Täuschung im Rechtsverkehr einem anderen ein Ausweispapier überlässt, das nicht für diesen ausgestellt ist, wird mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Auch der Versuch ist strafbar.“ So steht es in § 281, Abschnitt 23, unseres Strafgesetzbuches. Doch wenn ein Migrant mit solcherart Ausweismissbrauch ertappt wird, muss er in der Regel nicht automatisch mit strafrechtlichen Konsequenzen oder gar mit Ausweisung rechnen.
Ausweismissbrauch für Migranten folgenlos
Entsprechend erklärte das Innenministerium jüngst auf eine diesbezügliche Anfrage der WELT: „Der Ausweismissbrauch führt nicht generell zur Aufhebung des asylrechtlichen Schutzes oder des aufenthaltsrechtlichen Titels.“ Und so ist es kein Wunder, dass insbesondere in Deutschland registrierte Asylbewerber ihre hierzulande ausgestellten Reise- und Ausweisdokumente zu Geld machen, wenn sie am Ende nach Ablehnung ihres Asylantrages Europa wieder verlassen müssen.
1.400 Dollar für einen Ausweis
Aber auch bei uns bereits anerkannte Asylbewerber bieten ihre Reisedokumente in den sozialen Netzwerken zum Verkauf an oder schicken sie in die Heimat. Empfänger sind vor allem Landsleute aus Syrien oder dem Irak, die noch auf der Flucht sind und mit diesen Papieren nach Mitteleuropa und dann nach Deutschland einreisen.
Wie aus einem eigentlich internen, von der Bild am Sonntag zitierten Sachstandsbericht der Bund-Länder-Projektgruppe „Falschidentitäten“ hervorgeht, stellten die Behörden 2017 „allein an griechischen Flughäfen 1.682 Ausweismissbräuche im Zusammenhang mit geplanten Reisebewegungen in andere EU-Staaten und davon 1.418 nach Deutschland (somit über 84 Prozent) fest“.
Anbieter posten in Facebook-Gruppen
Vor allem deutsche Reisedokumente werden in den sozialen Medien zum Kauf angeboten. So spricht Europol sogar von einer Verzehnfachung von Facebook-Accounts, die sich mit dem Angebot von Schleusungen befassen und dafür auch ge- und verfälschte Reisedokumente aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anbieten. Da der Betrug ohne eine Ähnlichkeit zwischen Anbieter und Käufer der Papiere nicht möglich ist, stellen viele Anbieter neben ihrem Alter sogar noch ein Passfoto ins Netz. Auch der Spiegel berichtet aus einer vertraulichen Analyse der Bundespolizei, wonach auf diese Weise „insbesondere deutsche Reisedokumente in den sozialen Medien zum Verkauf angeboten“ werden.
Zuverlässige Identitätsprüfungen bleiben die Ausnahme
Das alles ist den Behörden nicht neu. So bestätigte die Bundesregierung bereits im März 2018 auf eine Anfrage der AfD-Fraktion: „Der Bundesregierung liegen allgemeine Erkenntnisse vor, nach denen Reiseausweise für Flüchtlinge Personen zur illegalen Einreise nach Deutschland überlassen oder verkauft werden, die dem Reiseausweisinhaber ähnlich sehen.“ Zwar wurden 2017 in Deutschland offiziell 554 unerlaubte Einreisen mit „missbräuchlich genutzten Grenzübertrittsdokumenten“ zumindest festgestellt, aber das ist angesichts von tagtäglich Tausenden von illegalen Grenzübertritten auf europäischem Boden noch nicht einmal der Gipfel des Eisberges. Und: Diese Statistik erfasst nur die Erwischten; die Dunkelziffer ist erheblich höher.
Kontrollsysteme vor dem Kollaps
Bei insgesamt über 60.000 illegalen Grenzübertritten in die Staaten der Europäischen Union allein im ersten Halbjahr 2018 und mit Blick auf die Tatsache, dass diese Menschen mehrheitlich nach Deutschland wollen, stehen die deutschen Kontrollsysteme vor dem Kollaps. Denn um die Identität von Flüchtlingen zweifelsfrei festzustellen und damit die Reisewelle mit gefälschten oder gekauften Papieren stoppen zu können, fehlt es in Deutschland flächendeckend an Personal und technischer Ausstattung.
Ankerzentren schwächen flächendeckende Maßnahmen
Zu diesem alarmierenden Fazit kommt der zweite Sachstandsbericht der oben erwähnten Bund-Länder–Projektgruppe „Falschidentitäten“, der intern unter dem Vermerk „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ erstellt wurde. Wie dramatisch die Lage tatsächlich ist, belegt ein vertrauliches Schreiben des Bundeskriminalamtes vom Juni 2018. So heißt es in dem von der Bild am Sonntag zitierten Bundespolizei-Bericht: „Derzeit nutzen deutsche Kommunen nur ca. 400 Visotec-Geräte mit der Prüfsoftware Verify, die eine automatische optische und elektronische Dokumentenprüfung gewährleisten. Da es aber insgesamt 11.056 Gemeinden in Deutschland gibt, ist keine ausreichende Ausstattung vorhanden.“
Mängel bei der Erkennung von Falschidentitäten
Das vernichtende Fazit des BKA: „Mängel in den vorhandenen Strukturen, der nicht ausreichenden Qualifizierung der Mitarbeiter und der technischen Ausstattung haben zur Folge, dass das Erkennen von Falschidentitäten nicht sichergestellt ist.“
Inwieweit die Ankerzentren dazu beitragen, die Reisewelle mit falschen Reisedokumenten in den Griff zu bekommen und damit die Asylsituation tatsächlich verlässlicher und stringenter zu machen, bleibt mehr als fraglich. Denn die dort besonders forcierte und gebündelte personelle und technische Ausstattung wird kaum finanzielle Mittel zur Unterstützung der Kommunen freisetzen, um auch flächendeckend den Missbrauch von Flüchtlingspässen einzudämmen.