Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Hartz-IV-Sanktionen eine „Riesenchance“. Es gehe jetzt darum, „Hartz IV weiterzuentwickeln“ und „einen gesellschaftlichen Konflikt, der so lange unser Land gespalten hat, zu befrieden“.
Im ARD-Mittagsmagazin sagte Heil: „Mein Ziel ist, dass wir dieses System grundlegend verändern.“ Nach Meinung des SPD-Ministers müsse der Sozialstaat nicht nur sein Tun verändern, sondern auch seinen Ton. „Es darf auch nicht mehr in die Kosten der Unterkunft eingegriffen werden. Das halte ich für ganz, ganz wichtig“, sagte Heil.
Heil: Sinnlose Härte bei Eingliederung
Diese Regelungen müssen auch auf die Altersgruppe der Unter-25-Jährigen ausgeweitet werden, meint der SPD-Politiker. Arbeitssuchende unter 25 werden bislang härter sanktioniert, wenn sie ein Jobangebot oder eine Maßnahme ablehnen: „Aus dem Urteil lässt sich ableiten, dass die Menschenwürde für Unter-25-Jährige nicht anders zu behandeln ist als für 26-Jährige“, so Heil. „Wir brauchen auch eine Regelung für Härtefälle.“ Nach seiner Meinung gibt es auch keinen Beleg dafür, dass die Härte gegenüber jungen Arbeitslosen bisher bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt geholfen habe.
Dreyer begrüßt Hartz-IV-Urteil
Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer sieht im Urteil eine Bestätigung für das Sozialstaatskonzept ihrer Partei. Dieses Urteil müsse jetzt die Grundlage für Diskussionen mit der Union über Gesetzesänderungen bei Hartz IV sein, sagte Dreyer bei RP-Online.
Das Gericht verlange vom Gesetzgeber nun, die Grundsicherung weiterzuentwickeln. Für Dreyer ist klar, dass Rechte und Pflichten zwei Seiten einer Medaille im Sozialstaat sind. „Das Urteil bestärkt aber die Haltung der SPD, dass unsinnige und vor allem unwürdige Sanktionen abgeschafft gehören“, sagte die kommissarische SPD-Chefin.
Unions-Arbeitnehmerflügel reagiert gelassen
„Mit dem Urteil kann man leben. Das Wichtigste für uns ist, dass das Verfassungsgericht die Zumutbarkeitsregeln im Hartz-IV-System nicht beanstandet und das Prinzip Fordern und Fördern im Grundsatz bestätigt“, sagt der Chef der Arbeitnehmergruppe, Peter Weiß, im Gespräch mit RP-Online.
„Das Urteil löst insofern keine Totalrevision des Sozialgesetzbuchs II aus“, meint Weiß und erläutert: „Leistungskürzungen von über 30 Prozent gibt es ohnehin nur für eine ganz kleine Minderheit der Bezieher. Die allermeisten Sanktionen werden wegen Termin- und Meldeversäumnissen verhängt. In diesen Fällen wird die Leistung nur um zehn Prozent gekürzt“.
Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, weist auf die grundsätzliche Bedeutung des Urteils hin: „Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben ausdrücklich klargestellt, dass Sanktionen gegen unkooperative Hartz-IV-Empfänger prinzipiell zulässig sind“, so Steiger gegenüber der „Welt“. Es müsse dabei bleiben: „Wer vereinbarte Beratungstermine nicht wahrnimmt oder angebotene Jobs ausschlägt, dem muss die staatliche Unterstützung gekürzt werden. Das sind wir allein schon den hart arbeitenden Steuerzahlern schuldig, die für die Hartz-IV-Zahlungen aufkommen müssen.“
Linke fordert Abschaffung der Sanktionen
„Es ist ein gutes Zeichen, dass auch die Richter in Karlsruhe die Sanktionen kritisch sehen“, sagte Linken-Chef Bernd Riexinger gegenüber der Funke-Mediengruppe. Jetzt sei die Politik gefragt. „Wir brauchen eine armutsfeste und sanktionsfreie Mindestsicherung. Dieses System der Bestrafung, bei dem den Menschen das eh schon zu niedrig angesetzte Minimum auch noch weggenommen wird, ist einfach unwürdig und falsch“, so Riexinger. Die Linke fordert eine vollständige Abschaffung der Sanktionen und die Einführung einer Mindestsicherung.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch fordert Konsequenzen. „Das Urteil zeigt, wir brauchen einen Systemwechsel. Nicht nur die Sanktionen sind falsch, sondern Hartz IV als System müssen wir ersetzen.“ Das Ganze sei entwürdigend. Bartsch gegenüber der Welt: „Wir brauchen ein neues Versicherungssystem, das wirksam bei Arbeitslosigkeit schützt.“
Die Angst, bei Jobverlust sozial abstürzen, „zerfrisst den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, fügte Bartsch hinzu.
Ifo-Chef Fuest für „grundlegende Reform“
„Die Politik sollte das Urteil zum Anlass nehmen, Hartz IV grundlegend zu reformieren“. So kommentierte Ifo-Chef Clemens Fuest bei RP-Online das Hartz IV-Urteil des Verfassungsgerichts. Nach Meinung des Wirtschaftsexperten sind Sanktionen notwendig, müssen sich aber im zulässigen Rahmen halten. Außerdem schaffe das System „zu geringe Anreize, über eine Teilzeitbeschäftigung hinaus das Arbeitsangebot zu erhöhen“.
Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung hat bereits einen Reformvorschlag vorgelegt, der die Anreize für Hartz-IV-Empfänger verbessern soll, um neben dem Bezug des Arbeitslosengeldes mehr als nur einen Mini-Job aufzunehmen. Nach Ansicht der Wissenschaftler sollte der anrechnungsfreie Betrag von 100 Euro für Singles abgeschafft werden. Im Gegenzug solle aber ein größerer Teil eines höheren Hinzuverdiensts nicht mehr auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden.
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Quelle: rb, dts