„Selbst wenn die tatsächlichen Voraussetzungen vorhanden wären, wiese der Einsatz eines solchen Ausweises den gefährlichen Weg in eine Diskriminierungs- und Entsolidarisierungsfalle“, warnte im Mai Hamburgs Datenschützer Johannes Caspar, als die Diskussion über einen Immunitätsausweis für Covid-19 ihren Höhepunkt erreichte.
Der Gegenwind von Opposition, Datenschützern und anderen gesellschaftlichen Gruppen war so groß, daß Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sein Ausweisprojekt auf die lange Bank schob und den Deutschen Ethikrat anrief. Damit beschwichtigte er erst einmal die Gemüter und konnte ohne politischen Gesichtsverlust auf die Gesetzgebungsbremse treten.
Jetzt legte der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme vor. Auch er rät von Immunitätsbescheinigungen ab. Die Entscheidung sei einstimmig erfolgt, teilte das Gremium am Dienstag in Berlin (22.9.) mit.
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„Für den Fall, dass Immunität künftig hinreichend verlässlich nachweisbar werden sollte, herrschen im Rat unterschiedliche Auffassungen dazu, ob und – wenn ja – unter welchen Bedingungen die Einführung von Immunitätsbescheinigungen zu empfehlen wäre“, heißt es in der aktuellen Stellungnahme des Ethikrates
Weiterer Weg umstritten
Die Hälfte der Ratsmitglieder komme auf Basis risikoethischer Abwägungen zu dem Ergebnis, dass bei günstiger Entwicklung der naturwissenschaftlich-medizinischen Voraussetzungen mindestens eine stufenweise, anlassbezogen wie bereichsspezifisch ansetzende Einführung einer Immunitätsbescheinigung unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sei. Auch einen weiter reichenden Einsatz halten diese Ratsmitglieder für verantwortbar.
Halber Ethikrat total dagegen
Für die andere Hälfte der Ratsmitglieder führten praktische, ethische und rechtliche Gründe zu einer Ablehnung des Einsatzes von staatlich kontrollierten Immunitätsbescheinigungen selbst dann, wenn Unsicherheiten mit Blick auf den Sachstand in Zukunft nicht länger bestünden.
Aufklärung statt Bescheinigung
„Ungeachtet dieser unterschiedlichen Positionierungen spricht sich der Ethikrat in weiteren gemeinsamen Empfehlungen dafür aus, die Bevölkerung umfassend über einen gemeinwohlorientierten Infektionsschutz aufzuklären und über die Aussagekraft von Antikörpertests zu informieren“, teilt das Gremium in Berlin mit.
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Hintergrund
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den Ethikrat im Mai 2020 gebeten, die ethischen Voraussetzungen und Implikationen einer Immunitätsbescheinigung zu erörtern. Bei diesem Gremium handelt es sich um einen unabhängigen Sachverständigenrat, dessen Mitglieder nicht in der Regierung oder im Parlament tätig sein dürfen.
Grundlage ihrer Arbeit ist das Ethikratgesetz aus dem Jahr 2007. Die 26 von Bundesregierung und Bundestag vorgeschlagen Mitglieder behandeln ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen. Außerdem die voraussichtlichen Folgen, die sich für das Individuum und die Gesellschaft im Zusammenhang mit Forschung und Entwicklungen ergeben. Das Auswahlverfahren der Mitglieder soll „unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum“ sicherstellen.
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Quelle: dts, rb