„Der Staat greift zu tief in die Demokratie ein. Das muss gestoppt werden,“ fordert Professor Stephan Bröchler von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Der Verwaltungsrechtler warnt im Tagesspiegel vor einer Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie. Er schreibt: „Damit das Gesundheitssystem aufgrund der hohen Infektions- und Todeszahlen nicht kollabiert, greift der Staat vielfach und gravierend in die Demokratie ein.“
„Coronaregierung“ ohne Rechtsgrundlage
Bröchler warnt vor negativen Folgen für die parlamentarische Demokratie durch die „Veränderungen in der Regierungsmaschinerie“. Darunter versteht er eine Machtzusammenballung im sogenannten „Corona-Kabinett“, wo sich Bundeskanzlerin und Ministerpräsident*innen regelmäßig treffen, um Entscheidungen zur gemeinsamen Pandemiebekämpfung zu treffen. Die Kabinette in Bund und Ländern könnten dann nur noch im Nachhinein abnicken, was dort beschlossen wurde, kritisiert der Jurist. Für Bröchler handelt es sich um eine „Super-Coronaregierung“, die in der Verfassung nicht vorkommt.
Impfreihenfolge verfassungwidrig
Mit seiner Kritik ist der Berliner Verwaltungsrechtler nicht allein. Bundesweit bemängeln Staatsrechtler den leichtfertigen Umgang der Regierenden mit den verfassungsmäßig garantierten Rechten der Bürger. So hält Staatsrechtler Udo di Fabio die derzeitige Regelung, wer zuerst gegen Corona geimpft wird, für verfassungswidrig. „Nach unserem Verfassungsverständnis muß das, was für die Grundrechte wesentlich ist, vom Parlament per Gesetz geregelt werden,“ erklärte der ehemalige Verfassungsrichter (1999 – 2011) dem Magazin Spiegel.
Impf-Konzept gerichtlich angreifbar
Diese Aussage repräsentiert die einhellige Meinung von Verfassungsexperten. So schreibt Professor Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg in einer Stellungnahme zum derzeitigen Regelungskonzept: „Es ist verfassungswidrig und daher gerichtlich angreifbar.“
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Politische Strategie als Grundlage ?
Die Jenaer Staatsrechtlerin Anna Leisner-Egensperger formuliert es schärfer: „Wir impfen derzeit auf Grundlage einer politischen Strategie.“ Sie vermißt eine „verfasssungskonforme Ermächtigungsgrundlage“ für die Impf-Reihenfolge. Für Leisner-Egensperger ist der logische Schluß: „Diese Vorschriften sind daher rechtswidrig und damit nichtig. Sie dürfen von den Behörden nicht angewendet werden und müssen von den Bürgern nicht beachtet werden.“
Problematische Kontaktbeschränkung
Die Hagener Staatsrechtlerin Andrea Edenharter bezeichnete die verschärften Kontaktbeschränkungen gegenüber der Welt als „sehr problematisch“. Der Grund: Weil man immer noch nicht sicher wisse, welche Rolle Kinder bei der Infektionsverbreitung spielten. „Für derart massive Grundrechtseingriffe bräuchte man fundierte wissenschaftliche Studien, die besagen, dass auch Säuglinge und kleine Kinder einen relevanten Beitrag zur Infektionsverbreitung leisten können.“
Bewegungseinschränkung umstritten
Auch die Bewegungseinschränkung auf einen 15 Kilometer-Umkreis um den Wohnort halten viele Staatsrechtler für verfassungswidrig. So vermißt die Hagener Professorin eine „hinreichende gesetzliche Grundlage“. Der Welt sagte Edenharter, die Regelung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und sei damit verfassungwidrig.
Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart sieht das etwas großzügiger. Unter bestimmten Bedingungen (Einschränkungen) hält er diese Maßnahme für möglich, wenn das einen „nennenswerten Beitrag zur Eindämmung“ der Pandemie leistet. Doch auch Degenhart pocht auf die strikte Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgebots.
Ausgangssperre ungeeignet
Auch die nächtlichen Ausgangssperren in einigen Bundesländern verstoßen wohl gegen das Grundgesetz: „Sie sind verfassungswidrig, weil sie zur Eindämmung der Pandemie nicht geeignet sind“, sagt die Staatsrechtlerin Andrea Edenharter von der Fernuniversität Hagen. Die Hochschullehrerin begründet das so: „Das Virus verbreitet sich ja nicht allein deshalb, weil jemand nachts seine Wohnung verlässt, sondern es kommt vielmehr darauf an, wie viele Menschen jemand trifft.“
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Quellen: dts-Material, Tagesspiegel v. 11.1.2021