Immer häufiger kommt es vor, dass Unternehmen den digitalen Traffic mit ihren Vertriebspartnern für den eigenen Direktvertrieb nutzen. Eine fragwürdige Vorgehensweise, die auch den Fachbuchhandel bedroht.
Skrupellose Telefonverkäufer gehen im Namen renommierter Verlage auf digitale Beutetour im Fachbuchhandel und sichern sich mit falschen Behauptungen fette Provisionen. So erhalten Ärzte, Anwälte, Ingenieure oder Steuerberater, die bei ihrer Fachbuchhandlung eine Fachzeitschrift abonniert haben, nicht selten direkt vom Verlag ein „besseres“ Angebot, zu dessen Risiken sie besser mit ihrem lokalen Buch- und Medienhändler sprechen sollten.
Fragwürdige Kundenakquise per Datentraffic-Analyse
Passiert, notiert, ein typischer Fall: Eine mittelgroße Steuerberater-Kanzlei in Nordhessen hatte beim Fachbuchhändler ihres Vertrauens u. a. eine Fachzeitschrift mitsamt dazugehörigen Online-Zugängen abonniert. Als der Verlag nun anhand des Datentraffics, also der dort abrufbaren Zugriffsraten und –zeiten, eine vergleichsweise intensive Nutzung der Online-Zugänge seitens des Abonnenten feststellte, bot er diesem gleichsam hinter dem Rücken des Buchhändlers ein neues, teureres Direkt-Abo an, das aufgrund der angeblich zu hohen Nutzung der Online-Zugänge nunmehr notwendig sei. Das Abonnement – so der Verlags-Mitarbeiter am Telefon – könne aufgrund der erreichten Größenordnung fortan nur noch im Direktgeschäft zwischen Verlag und Kunde gesteuert werden und der Buchhändler als bisheriger Zwischenlieferant würde darüber seitens des Verlags entsprechend in Kenntnis gesetzt.
„Was soll das? Wir haben doch schon mal bezahlt!“Die Kanzlei ging darauf ein, wunderte sich aber alsbald, dass sie nunmehr doppelte Lieferungen erhielt. Denn der ursprüngliche, bei der örtlichen Fachbuchhandlung abgeschlossene Vertrag lief parallel dazu weiter. Als Folge wurden nunmehr vorübergehend für die doppelte Lieferung auch doppelt Nutzungsgebühren eingezogen: seitens der ahnungslosen Buchhandlung, die vom Verlag entgegen der Absprache nicht entsprechend informiert worden war, für den alten und seitens des Verlags für den neuen Vertrag.
Kein Einzelfall, wie auch andere Fachbuchhändler berichten, und in mehrfacher Weise juristisch nicht unproblematisch. Denn wenn der Buchhändler als Vertragspartner des Verlags ein Zeitschriften-Abo verkauft, so ist das nach Vorgabe des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels eine Fortsetzungslieferung, für deren Vertragserfüllung allein der Buchhändler haftet.
Heimliche Nutzung von Kunden-Daten bedroht Einzelhandel…
„Ich habe das Gefühl, dass wir auf diese Weise ausgebootet werden“, gibt ein Fachbuchhändler zu Protokoll. „Unser Kunde bekommt vom Verlag ohne unser Wissen ein neues, womöglich günstigeres Angebot, und wir bekommen dann nach seinem Wechsel nur noch die Kündigung. Statt dem Vertriebspartner Fachbuchhandel ein für dessen Kunden optimiertes Angebot zu machen, das anhand des aus dem Traffic gewonnenen Nutzungsprofils maßgeschneidert auf dessen Bedürfnisse abgestimmt ist, klagen die Verlagspartner über steigende Kosten bei der Digitalisierung“.
Solche Geschäftspraktiken treffen vor allem Fachbuchhändler, die auf digitale Inhalte spezialisiert sind. Während Amazon & Co es z. B. in der Belletristik den Boulevard-Buchhandlungen und dem Allgemeinen Sortiment in den Innenstädten das Leben schon lange schwer machen, sind es im Fachbuchhandel nun offensichtlich auch die Verlage selbst, die ihre stationären Vertriebspartner schwächen. Anstatt den Endkunden auf deren Service-Angebot hinzuweisen, nehmen sie ihnen Verträge und Kunden weg.
Auch im NWB-Verlag, einem großen deutschen Fachverlag mit den Schwerpunkten Steuerrecht, Wirtschaftsrecht und Rechnungswesen, weiß man durchaus von solchen Praktiken, lehnt sie dort aber grundsätzlich ab. „Uns sind solche eher selten vorkommenden Fälle bekannt. Als Verlag ist es uns allerdings wichtig, eine gute und vertrauensvolle Geschäftsbeziehung zum Buchhandel weiter zu pflegen und auszubauen“, sagt Kristine Bünseler, Leitung Handelsmarketing bei NWB, „Auf der anderen Seite müssen wir auch den Bedürfnissen und technischen Anforderungen unserer Direktkunden gerecht werden. Sollten in diesem Zusammenhang Konflikte entstehen, sind wir so aufgestellt, dass wir diese im direkten Kontakt lösen. Damit haben wir bisher sehr gute Erfahrungen gemacht.“
…und schadet am Ende dem Kunden
Der stationäre Buchhandel konnte sich aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Preisbindung für Verlagsprodukte bisher tatsächlich vor solchen Praktiken halbwegs sicher fühlen. Womöglich ein Irrtum, wie sich herausstellt, und ein Indiz dafür, dass es in Zeiten von Content-Datenbanken, Tele-Sales, elektronischen Bibliotheks-Buchpaketen und anderen crossmedialen Vertriebsschienen im Rechtsverhältnis zwischen Verlagen und Buchhandlungen doch an verbindlichen, zukunftssicheren Makler- und Vermittlungsverträgen fehlt, mit denen die Serviceleistungen der stationären Vertriebspartner im Handel am Ende verlagsseitig honoriert und entgolten werden.
Bleibt die grundsätzliche Frage: Darf ein Unternehmen gemeinsam mit dem Handel entwickelte Kundenpotenziale überhaupt in eigener Regie nutzen? Juristisch wohl eher nicht – zumindest, was das Verlagswesen angeht. Aber der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der ja die Interessen von Verlagen und Buchhandlungen gleicherweise vertritt, hält sich bisher bedeckt.