Das erfolgreiche Internet-Geschäftsmodel: persönliche Nutzerdaten für Werbezwecke gegen journalistische Inhalte, könnte bald der Vergangenheit angehören. Zu diesem Schluss kam eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde während der Frankfurter Buchmesse.
Die Stiftung Datenschutz hatte zum Fachpresse-Talk eingeladen. Es ging um Informationsvermittlung, Datenschutz und Datenwirtschaft. Anwesend waren: die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) Dr. Bernd Nauen und der freie Journalist Adrian Lobe. Moderiert wurde die Diskussion von Frederick Richter, dem Stiftungsvorsitzenden.
Bewußtseinswandel beim Datenschutz
„Heute lacht man darüber, welche Daten damals die Bevölkerung so sensibilisiert haben,“ sagte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Hinblick auf das veränderte Bewußtsein bezüglich des Datenschutzes. Die Welt habe sich seit dem Volkszählungsurteil von 1983 vollkommen verändert, aber einige Grundregeln müssen bei der „Digitalisierung in allen Lebensbereichen“ weitergelten. Ihrer Meinung nach ist die informelle Selbstbestimmung des Einzelnen unverzichtbar und die Politik muss Antworten mit Blick auf die heutige Technik geben.
Werbefinanzierter Journalismus in Gefahr
Dr. Bernd Nauen vom ZAW sieht das seit über 100 Jahren bewährte Modell, Adressdaten für Werbeangebote gegen journalistische Leistungen in Gefahr. „Ohne die Befugnis Daten zu verarbeiten, kann man keinen Fachjournalismus machen“, urteilt er. Irgendwie müssten die journalistischen Angebote ja refinanziert werden. Die europäische ePrivacy-Verordnung würde seiner Meinung nach kostenlose Fachmedienangebote unmöglich machen. „Wenn dieses Stück Gesetzgebung im europäischen Parlament so verabschiedet wird, ist die ganze bisherige Gesetzgebung Makulatur!“ sagt der ZAW-Geschäftsführer und weist darauf hin, dass es sich dabei um eine komplette Revision der Datenschutzgrundverordnung handelt. Faktisch würden die neuen Regelungen ein Datenverarbeitungsverbot für alle Anbieter bedeuten. Die einzige Alternative seinen dann Pay-Angebote. Die Kosten dafür schätzt der ZAW auf 40 Euro/Monat für jeden Haushalt.
Bezahlsysteme statt Gratiskultur im Internet ?
Eine Akzeptanz dieser Kosten ist nach Meinung von Dr. Bernd Nauen nicht realistisch. Nach Meinung des journalistischen Praktikers Adrian Lobe ist die Gratismentalität im Internet der entscheidende Hemmschuh für payed Content. „Die Bereitschaft für guten Journalismus, für gute Inhalte zu bezahlen, ist in der Masse nicht gegeben“, sagt er. Dem Nutzer sei es egal, von wem die Inhalte kommen, Hauptsache sie sind kostenlos. Diese Entwicklung ist auch für die Verlage ärgerlich. Bei ihnen geht die Markenbindung verloren. Sie geraten immer mehr in die Abhängigkeit von Google und Facebook, die als Informationskanäle zum Leser immer wichtiger werden.
Datenschutz wird europaweit einheitlich geregelt
„Muss der Fachjournalismus den Datenschutz fürchten“, fragt Moderator Frederick Richter. Das sieht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht so. Sie stellt klar: „Datenschutz soll Geschäftsmodelle und wirtschaftliche Aktivitäten nicht verbieten.“ Datenschutz ist für sie Persönlichkeitsrechtsschutz. „Es hat immer Regeln gegeben, dass nicht alles erlaubt ist“, sagt die ehemalige Ministerin. Für sie geht es um einen fairen Interessenausgleich zwischen den Inhabern der Daten und der werbetreibenden Wirtschaft. Das sei bisher gelungen und im Mai 2018 könne man von einem „Neubeginn des Datenschutzzeitalters“ sprechen. Dann werden mit der Datenschutzgrundverordnung europäische Standards gesetzt.
ePrivacy-Verordnung bricht mit bisherigen Regelungen

© Ralf Borowski / JUDID Media
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht die jetzt zur Entscheidung vorliegende ePrivacy- Verordnung kritisch. Für sie bedeutet die neue Verordnung eine Abkehr von den bisherigen Regelungen. Die vorliegenden Veränderungsvorschläge würden eine Datenverarbeitung für die Anbieter unmöglich machen. Für die ehemalige Bundesjustizministerin ist das „Instrument der Einwilligung“ der entscheidende Punkt. Dieses Instrument müsse auch im digitalen Zeitalter anwendbar und praktikabel bleiben. Sie zieht den Schluss: „Was nützt uns ein ausgefeilter Datenschutz, wenn es dann viele Geschäftsmodelle nicht mehr geben darf.“
Deutsche Wirtschaft verliert Wettbewerbsfähigkeit
Nach Meinung der erfahrenen FDP-Politikerin würde die Verabschiedung der ePrivacy-Verordnung in der jetzigen Form eine Schwächung der deutschen Wirtschaft gegenüber ihren amerikanischen Konkurrenten bedeuten. Deutschland würde gegenüber internationalen Konzernen wie Amazon, Google oder Facebook an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. „Die haben bisher einen Vorteil, grade mit Blick auf den Datenschutz“, bedauert sie in der Diskussionsrunde. Es müsse das Ziel sein, für alle in Europa tätigen Anbieter, einheitliche Standards zu setzen, um Chancengleichheit zu gewährleisten.
Die Rolle der Medien
Auf die Rolle der Journalisten in dieser Frage angesprochen meinte Adrian Lobe: „Wir sind am Ball.“ Seiner Meinung nach greifen die Medien die Problematik immer mehr auf. Das Thema würde inzwischen nicht nur in seinem Gebiet, dem Feuilleton, aufgegriffen sondern auch im Politik- und Wirtschaftsressort.
Dr. Bernd Nauen dagegen kritisiert die Rolle der Medien: „In Brüssel gehen Dinge außerhalb der informierten Öffentlichkeit vor.“ Seiner Meinung nach wirft das ein bezeichnendes Licht auf den Journalismus und die Informationslandschaft.
Das sieht Adrian Lobe nicht so. Er weist darauf hin, dass in Europa eine europäische Öffentlichkeit fehlt und alle Informationen nationalstaatlich gefiltert werden. „Man muss hier die entsprechenden Fachmedien und Blogs lesen, um sich zu informieren“, sagt der freie Journalist, der an dieser Stelle aber auch ein Defizit in der Berichterstattung ausmacht. „Man muss schon hinschauen“, meint er, „da die (europäischen) Regelungen ja durchwirken.
Ist die Internet-Gratiskultur noch zu retten?
Für die ehemalige Bundesjustizministerin ist die ePrivacy-Verordnung eine erste wichtige Baustelle, sollte es zu einer Jamaika-Koalition kommen. Das sieht Dr. Nauen vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft genauso. Die neue Regierung muss seiner Meinung nach rasch handeln und im europäischen Ministerrat die erforderlichen Korrekturen einfordern. Es gelte, eine Gleichstellung mit der Datenschutzgrundverordnung zu erreichen. Eine Einschränkung der Wirtschaft über diese Regelungen hinaus ist für ihn nicht akzeptabel. Das letzte Wort der Diskussion hatte der diesjährige Preisträger des Journalistenpreises der Stiftung Datenschutz Adrian Lobe. Für ihn ist Information die Voraussetzung für jede Debatte. Außerdem geht es für Ihn auch immer um eine Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit in Zeiten des Terrorismus. Abschließend mahnt er noch eine Verbesserung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen für Startups mit den Worten an: „Warum haben wir nicht die Googles und Facebooks in Deutschland?“
Seite 2: Kommentar zur ePrivacy-Verordnung