Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Ferdinand Kirchhof, hält einen zweiten pauschalen Lockdown in Deutschland für verfassungswidrig. Das Argument einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems ist für ihn „rechtlich nicht ausreichend“.
„Eine bundesweite Vorschrift wäre kompetenziell und sachlich nicht möglich“, sagte er bei einem Gespräch mit der Welt. Laut Kirchhof wären die rechtlichen Hürden bei einem zweiten Lockdown wesentlich höher als beim ersten Mal, denn „die Gefährdung durch eine zweite Schließung ist für die Gastronomie, den Einzelhandel und die Tourismusbranche erheblich größer“. Der Staatsrechtler verweist in diesem Zusammenhang auf die in Artikel 12 des Grundgesetzes festgeschriebene Berufsfreiheit.
Überfordertes Gesundheitsystem ?
Erneute Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens müssten zudem gegenüber anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern, beispielsweise der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 GG) abgewogen werden. Laut Kirchhof ist ein Verweis auf die mögliche Überlastung der Gesundheitssysteme rechtlich nicht ausreichend. „Eine allgemeine Überforderung des Gesundheitssystems kann keine Rechtfertigung liefern; dann muss man vielmehr schnell neue Kapazitäten schaffen“, sagt Kirchhof.
„Erziehungsmaßnahmen“ sind unzulässig
Ein erzieherisches Ziel dürften die Regeln ebenfalls nicht verfolgen; sie könnten nur auf die Bekämpfung der konkreten Gefahr ausgerichtet sein. „Letztlich ist vom Staat zu verlangen, dass er sich auf konkrete Risiken in Branchen, Veranstaltungen oder Hotspots
bezieht, die Tauglichkeit seiner Konzepte zur Eindämmung der Gefahr nennt und nachweist, dass seine Maßnahmen nicht nur am Rande zur Eindämmung beitragen“, führte Kirchhof aus. Dies gelte auch für den Fall regionaler Lockdowns wie in Berchtesgaden.
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Kirchhof kritisiert Gesetzgebungsverfahren
„Nur wenn die Maßnahmen zielgenau und sachbezogen Risiken eindämmen und gegenüber anderen rechtlichen Einbußen angemessen sind, gibt es keine Verfassungsprobleme vor Ort“, so Kirchhof. Der Ex-Verfassungsrichter schloss sich der in den vergangenen Tagen laut gewordenen Kritik an, dass die Regierungen von Bund und Ländern die Entscheidungen an den Parlamenten vorbei träfen. Auch er sieht ein Problem darin, dass der Staat nur über Rechtsverordnungen durch die Exekutive auf die Entwicklung reagiere.
Grundrechtseingriffe legitimieren
„Im ersten, schnellen Zugriff war das richtig, jetzt ist aber in der Demokratie das Parlament gefragt, so weitreichende und unser gesamtes Leben längerfristig umfassende Grundrechtseingriffe zu legitimieren, vorzuformen und zu begrenzen“, so Kirchhof. Das gelte auch für die Landtage. „Auch habe ich Zweifel, ob sich derartige Rechtsverordnungen noch auf das Infektionsschutzgesetz in Verbindung stützen lassen.“ Die Vorschriften dort seien für abgrenzbare Einzelfälle, nicht für flächendeckende und dauerhafte Maßnahmen gedacht.
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Quelle: dts-Nachrichtenagentur
5 Kommentare
Es erstaunt mich immer wieder, daß ich von „Verfassung“ lese. Prof. Krichof weiß, daß das GG keine Verfassung ist, oder hat er eine Begründung dafür, warum der Artikel ^146 dann noch drin steht?! In einer Verfassung steht der sicher nicht drin, daß das GG dann außer Betrieb geht, sobald sich das „Deutche Volk in einer Abstimmung eine Verfassung gegeben hat°, oder?! Leider ist dem GG 1990 der Artikel 23 entzogen worden (Zustämndigkeitsbereich) – und damit wurde es ungültig, auch wenn man den dann ca. 2 Jahre später „ersetzt“ hat.
Die jetzige Geschäftsleitung setzt sich über ALLES hinweg und deshalb empfehle ich, sich mal mit den drei Bundesbereinigungsgeetzen zu befassen, die ^von 2006 bis 2010 im BGBl. herausgegeben wurden! Ganz dringend, denn darin wurden die meisten Gesetze durch die Allierten gelöscht, auch die Gerichtsbarkeit! (s. 2. BBG) Hochinteressant, diese Gesetze!
Ich war 24 jhr Chefarzt einer inneren abtl. Jedes Jahr grippewelle. Wer n nicht spürte oder wenig hat weiter gearbeitet. Wer krank war wurde 1-2 krank geschrieben u Schwerkranke in die Klinik. Im Sommer war so jede Grippe vorbei. So wie jetzt gehts über Jahre. PolitiK raus Aus gesundheitssystem
Interessant. Unsere Volksvertreter handeln nicht nur gegen das eigene Volk , sondern auch noch gegen die Verfassung und das Gesetz.
Unglaublich.
Es ist schön, dass sich nach Herrn Papier nun auch der nächste Ex-Verfassungsrichter zu Wort meldet. Allerdings scheint auch er seine Zunge zu zügeln: andere Verfassungsartikel kommen auch noch in Betracht. Die Aufzählung spare ich mir. Allgemein lässt sich in der öffentlichen Diskussion (so man sie überhaupt als solche bezeichnen darf) feststellen, dass berechtigte Zweifel oder Alternativen vorrangig von solchen vorgetragen werden, deren berufliches Fortkommen nicht mehr im Mittelpunkt steht. Das sagt etwas über diese Gesellschaft, Abhängigkeiten, die Meinungsfreiheit und Kultur in diesem Lande aus.
sorry, Link nicht richtig angegeben
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