Eine pragmatische Entscheidung traf jetzt das Oberlandesgericht (OLG) in Oldenburg. Das Überholen eines Fahrradfahrers durch einen anderen Radler setze nicht generell einen Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 Metern voraus. Nach Ansicht des Gerichts kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an.
Fast 80% der Oldenburger nutzen regelmäßig ihr Fahrrad und dabei kommt es auch immer wieder zu gefährlichen Situationen. Der Kläger war mit seinem Rad stadtauswärts unterwegs. Ein anderer Radfahrer kam aus einer Hauseinfahrt und scherte vor ihm ein. Die Fahrweise dieses Radlers war langsam und unsicher. Der Kläger fuhr eine kurze Strecke hinter dem langsameren Rad her und setze dann zum Überholen an.
Als der schnellere Radfahrer fast auf gleicher Höhe war, schwenkte der Überholte plötzlich weit nach links aus. Es kam zur Kollision. Der überholende Radfahrer stürzte auf die Straße. Dabei verrenkte er sich die Schulter und eine Sehne wurde abgerissen. Es folgte eine zweitägiger Krankenhausaufenthalt und eine längere Physiotherapie.
Das Landgericht wies die Forderung des Gestürzten nach Schmerzensgeld und Schadensersatz zurück. Der Kläger, so das Gericht, hätte nicht überholen dürfen, weil er den erforderlichen Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 Metern zu dem Beklagten nicht habe einhalten können. Das sah der Gestürzte anders und ging zur nächsthöheren Instanz. Diese gab ihm Recht, zumindest teilweise.
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Begründung des Gerichts
Ein Überholen setze nicht generell einen Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 Meter voraus – dies würde bedeuten, dass Fahrradfahrer sich fast im gesamten Stadtgebiet nicht überholen dürften. Es komme vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an.
Im konkreten Falle weise der Radweg eine ausreichende Breite zum Überholen aus, zumal der Radweg nur optisch von dem breiten Fußweg abgegrenzt ist. Der Beklagte habe durch seinen Linksschwenk gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 1 StVO) verstoßen, nach dem sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten müsse, dass kein anderer gefährdet oder behindert werde. Den Kläger treffe aber ein Mitverschulden von 50%, weil er hätte erkennen können, dass der Beklagte unsicher fuhr.
Entscheidung des Gerichts
Der Beklagte muss ein Schmerzensgeld von 3.500 Euro zahlen, sowie die Hälfte des Sachschadens (Fahrten zur Physiotherapie, beschädigte Kleidung) ersetzen.
OLG Oldenburg, Urteil v. 21.9.2021, Az. 2 U 121/21.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
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Quelle: PM OLG Oldenburg vom 27.9.2021