Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat am späten Mittwoch ein weitreichendes und überraschendes Urteil zu den drohenden Fahrverboten in Aachen gesprochen. Danach ist deren Luftreinhalteplan vom 1.Januar 2019 rechtswidrig.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat damit gegen das Land NRW einen, nach ihrer Meinung, „weiteren wichtigen Erfolg“ erzielt. Das zuständige Oberverwaltungsgericht in Münster wies die Berufung der Bezirksregierung Köln gegen das von der DUH erstrittene erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen zurück. Gleichzeitig legte das Gericht allgemeine Anforderungen an Luftreinhaltepläne fest. Demnach sind Fahrverbote zwar möglich, aber nur mit Augenmaß einzusetzen.
Fahrverbote ja – aber nicht zwingend
Im Urteil heißt es: „Aber selbst dann, wenn Fahrverbote die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte sind, muss die zuständige Behörde sie nicht zwingend anordnen. Vielmehr müssen Fahrverbote unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig sein. Von ihnen darf deshalb unter Umständen ganz oder teilweise abgesehen werden.“
Die Richter am Oberverwaltungsgericht verlangen zeitlich gestaffelte Fahrverbote und Übergangszeiträume, damit die Betroffenen „sich auf die neue Situation einstellen können“. Daneben seien die „Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft“ und „Ausnahmen für bestimmte Gruppen (etwa Handwerker oder Anwohner)“ zu berücksichtigen. Ausnahmen für nachgerüstete Dieselfahrzeuge sind, nach Meinung der Richter, auch in die zukünftigen Überlegungen einzubeziehen.
Aachen verstößt gegen EU-Recht
Der Luftreinhalteplan der Stadt Aachen ist rechtswidrig sagen die Richter, weil die darin vorgesehenen Maßnahmen nicht den Anforderungen der EU-Richtlinie 2008/50/EG und dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genügen. Danach müssen die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans geeignet sein, den Zeitraum der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts „so kurz wie möglich“ zu halten.
Fahrverbote können aber, so das Gericht, auch dann angeordnet werden, wenn der gemessene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid 50 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreitet. Die anderslautende Vorschrift des § 47 Absatz 4a Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz verstößt insoweit gegen das Unionsrecht.
Veraltete Daten
Nach Auffassung des Gerichts muß die die zuständige Behörde „auf der Grundlage aktueller Daten“ alle geeigneten Maßnahmen, insbesondere auch Fahrverbote prüfen. Dabei stört die OVG-Richter besonders, daß die Stadt Aachen Meßwerte aus dem Jahr 2015 verwendet hat, um ihre Luftreinheitsprognose zu erstellen.
Jetzt muss in Aachen kurzfristig nachgebessert werden. Ob und wann es dort zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge kommt, ist aber offen. Für die Aufstellung des neuen Plans regte das Gericht für die Aachener Verantwortlichen eine Lektüre des Mainzer Luftreinhaltungsplanes an.
Außerdem verpflichteten die OVG-Richter die Stadt zu einer vorsorglichen Planung von Maßnahmen (auch Fahrverboten). um die Grenzwerte auch einzuhalten, wenn die geplanten Maßnahmen nicht ausreichen.
Dieses Urteil mit seinen Anforderungen an Pläne zur Luftreinhaltung wird auch für die dreizehn noch offenen Verfahren anderer NRW-Städte maßgeblich sein.
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Aus der Begründung des Gerichts
Das Oberverwaltungsgericht hält diesen Luftreinhalteplan für unzureichend. Zur Begründung hat der Vorsitzende des 8. Senats in der mündlichen Urteilsbegründung Folgendes ausgeführt: Die gesetzlichen Grenzwerte für Stickstoffdioxid sind verbindlich, auch wenn sie fachlich nicht unumstritten sind. Die Anbringung der Messvorrichtungen in Aachen hält sich im Rahmen der gesetzlichen Bandbreite (Höhe, Abstände zu Straßen und Gebäuden). Auch durch zulässige Ortsveränderungen sind keine wesentlich anderen Messergebnisse zu erwarten. Der Luftreinhalteplan der Stadt Aachen ist rechtswidrig, weil die darin vorgesehenen Maßnahmen nicht den Anforderungen der Europäischen Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2008 und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genügen. Danach müssen die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans geeignet sein, den Zeitraum der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts „so kurz wie möglich“ zu halten. Deshalb muss die zuständige Behörde auf der Grundlage aktueller Daten ernsthaft und differenziert alle geeigneten Maßnahmen, insbesondere auch Fahrverbote prüfen. Fahrverbote können auch dann angeordnet werden, wenn der gemessene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid 50 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreitet. Die anderslautende Vorschrift des § 47 Absatz 4a Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz verstößt insoweit gegen das Unionsrecht.
Sieht die Behörde von Fahrverboten ab, weil die Grenzwerte nach ihrer Prognose ohnehin kurzfristig eingehalten werden, muss sie allerdings schon im Luftreinhalteplan für den Fall vorsorgen, dass die Prognose sich nicht bewahrheitet. Als Ausgleich für die mit einer Prognose stets verbundenen Unsicherheiten muss ein Luftreinhalteplan vorsehen, dass die Entwicklung der Luftschadstoffwerte regelmäßig kontrolliert wird. Ferner muss der Luftreinhalteplan auf einer zweiten Stufe zusätzliche Maßnahmen wie etwa Fahrverbote für den Fall enthalten, dass die Grenzwerte mit den bisherigen Maßnahmen entgegen der Prognoseerwartung doch nicht schnellstmöglich eingehalten werden. Dass solche gestuften Planungen sinnvoll und möglich sind, zeigt etwa der aktuelle Luftreinhalteplan für die Stadt Mainz.
Fahrverbote wurden nicht hinreichend genau geprüft. Jedenfalls für die Monheimsallee hat sich die Bezirksregierung Köln nicht damit befasst, ob dort der Grenzwert mit einem Fahrverbot nicht schon früher als mit nur den angeordneten Maßnahmen eingehalten werden könnte. Auch hat sie unter anderem nicht berücksichtigt, dass Fahrverbote für Euro 3- und Euro 4-Diesel schon vor dem 1. September 2019 möglich sind. Unabhängig von diesen Fehlern ist der Luftreinhalteplan 2019 rechtswidrig, weil er keine konkreten zusätzlichen Maßnahmen (etwa Fahrverbote) für den Fall enthält, dass die Grenzwerte entgegen der Prognose nicht eingehalten werden. Daher muss das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Bezirksregierung Köln, den Luftreinhalteplan 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, fortschreiben. Dies dauert erfahrungsgemäß mehrere Monate.
Der planerische Gestaltungsspielraum der Behörde ist nicht dergestalt auf Null reduziert, dass das beklagte Land zu verurteilen wäre, ein Fahrverbot zu einem bestimmten Zeitpunkt zwingend in Kraft zu setzen. Ob es eines Fahrverbotes bedarf, hängt im Wesentlichen von der Entwicklung der Messwerte und einer hinreichend einzelfallbezogenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch die Behörde ab.
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Quelle: PM OVG NRW vom 31.07.2019, Az.: 8 A 2851/18
Der 8. Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.