Der digitale Impfpass soll im Juni europaweit kommen und rechtzeitig zur Urlaubssaison das Reisen in der EU erleichtern. Doch die Details sind zwischen und in den 27 Mitgliedsstaaten noch lange nicht ausgehandelt. Denn das Handling sowie Datenschutz- und Grundrechtsfragen sorgen vor allem in Deutschland weiter für nachhaltigen Diskussionsbedarf.
Für vollständig geimpfte, von Corona genesene und negativ getestete EU-Bürger wird mit dem digitalen Impfpass in diesem Sommer ein Stück Freiheit zurückkommen. So ist es jedenfalls geplant. Die nationalen Regierungen müssen dafür aber die Systeme noch so gestalten, dass die Zertifikate kompatibel sind und der individuelle Impfpass mit allen eingetragenen Impfungen, ggf. überstandenen Corona-Infektionen und Testergebnissen mittels Scan eines QR-Codes in allen EU-Ländern übermittelt und abgerufen werden kann.
Digitaler Nachholbedarf
Ein Wermutstropfen: In den meisten Ländern – wie z. B. auch in Deutschland – verfügen über 20 % der erwachsenen Bevölkerung (noch immer) über kein internetfähiges Smartphone. Und mindestens ebenso groß ist der Anteil der Impf- und App-Verweigerer. Zudem sind europaweit die genaue Vorgehensweise sowie das technische Verfahren der digitalen Übertragung noch nicht endgültig geklärt und kompatibel. In Deutschland jedenfalls sollen nach dem Willen Jens Spahns (CDU) von den Ärzten künftig die Daten über erfolgte Corona-Schutzimpfungen digital festgehalten und an eine App übermittelt werden. Auch die Impfzentren sollen ebenfalls umgehend eine Software erhalten, um die Daten in den digitalen Impfpass zu übertragen.
Die Zeit läuft davon
Auch wenn das Tempo der Impfkampagne in Deutschland aktuell deutlich an Tempo aufnimmt, haben derzeit (Stand: Mai 2021) fast 70 Prozent der deutschen Bevölkerung noch nicht einmal ihre erste Corona-Impfung erhalten. Und die Mehrheit der BundesbürgerInnen wartet ohnehin und überhaupt noch immer auf ein zeitnahes Impfangebot. Die Zeit rennt also davon, wenn in wenigen Wochen mithilfe des digitalen Impfnachweises der freie Personenverkehr innerhalb der EU erleichtert, bestehende Corona-Beschränkungen angepasst bzw. gelockert werden sollen und z. B. die Test- und Quarantänepflicht bei der Ein- und Ausreise wegfallen.
Reisebranche optimistisch
Vor allem die Gastronomie- und Reisebranche setzt in den digitalen europäischen Impfnachweis schon jetzt größte Hoffnungen. „Reisen in Europa wird im Sommer 2021 möglich sein – sicher und verantwortungsvoll“, freut sich TUI-Chef Friedrich Joussen. Und solange nicht alle geimpft seien, blieben die Schnelltests als „zweiter Baustein“.
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Auch Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission und dort für das Thema zuständig, plädiert für eine möglichst schnelle Einführung des europäischen digitalen Impfpasses: „Wenn wir das nicht gemeinsam einführen mit einem gesetzlich bindenden Instrument und interoperabel, wird die Privatwirtschaft Lösungen entwickeln und sie uns überstülpen.“
Keine „Privilegien“ für Geimpfte
Vorsichtiger ist da Katja Leikert. Für die Vizefraktionsvorsitzende der CDU ist es zwar notwendig und richtig, dass Impfzertifikate auf einer europäischen App benutzerfreundlich verfügbar gemacht würden, aber „wir müssen darauf achten, dass es keine Sanktionen für Nichtgeimpfte geben sollte“. Auch für Achim Kaiser, den gesundheitspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, ist der digitale Impfpass „ein wichtiger Schritt zur Normalität unserer Bevölkerung in Europa“, doch solange nur ein Teil der Bevölkerung vollständig geimpft ist, sei „eine Ungleichbehandlung schwierig“.
Alternative Lösungen
Angesichts der in Deutschland eher schleppenden Entwicklung und Instrumentalisierung eines in allen Ländern gültigen Impfnachweises fordert FDP-Chef Christian Lindner eine schnelle Lösung: „Ich wäre offen, die Lösung eines anderen Staates jetzt zu nutzen, statt länger zu warten.“ Wenn von Geimpften – ob viele oder wenig – keine Gefahr mehr ausgehe, dann gebe es keinen triftigen Grund, deren Grundrechte und Bewegungsfreiheit weiterhin einzuschränken, betont auch Lindners Parteikollege Volker Wissing: „Freiheit steht nicht im Belieben der Bundeskanzlerin oder der Bundesregierung.“ Wenn von geimpften keine Gefahr ausgehe, was allerdings noch nicht nachgewiesen ist, dann gebe es keinen Veranlassung, deren Grundrechte zu beschränken.
Eingriffe in Freiheitsrechte möglich
In der Tat können die in unserer Verfassung garantierten Grund- und Freiheitsrecht von der Regierung bzw. der Bundeskanzlerin weder gewährt noch entzogen und auch nicht zurückgegeben werden. „Wir haben die Grundrechte als Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von Geburt an erworben. Die Deutschen sind keine Untertanen der Bundesregierung“, sagt Wissing gegenüber der Bild-Zeitung. Den zweifach Geimpften müssten deshalb ihre in der Verfassung festgelegten Grundrechte vollumfänglich zurückgegeben werden. Denn, so Wissing: „Freiheit steht nicht im Belieben der Bundeskanzlerin oder der Bundesregierung.“
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Das klingt gut, lässt aber Entscheidendes außer Acht. So wird das Recht auf Freiheit in Art. 2, Abs. 2 des Grundgesetzes ausdrücklich zusammen mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Freiheitsbeschränkungen sind per Verordnung also verfassungskonform, sofern und solange sie dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit der BürgerInnen dienen und damit geeignet sind, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Eine veritable Blaupause für gesetzliche Eingriffe in unsere Grundrechte liefert in diesem Zusammenhang nicht nur die Pandemie. So weisen Verfassungsrechtler und Juristen darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem jüngsten Beschluss zum Klimaschutzgesetz der Bundesregierung auch und vor allem den Weg für weitere Einschränkungen von Freiheiten geebnet habe. Wenn danach Fahrverbote genauso möglich wären wie die Zuteilung von Flugmeilen, dann sei es auch möglich, in Sachen Corona vollständig Geimpften und Genesenen weiterhin Beschränkungen aufzuerlegen, wenn die Bekämpfung der Corona-Erkrankungen es erforderlich mache.