Mit Eilbeschluss hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) für NRW in Münster am Dienstag (8.9.) die Untersagung des Angebots von sexuellen Dienstleistungen in und außerhalb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen in der Coronaschutzverordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Das Gericht hat damit dem Antrag eines Unternehmens stattgegeben, das in Köln ein Erotik-Massagestudio betreibt. Die Begründung des Gerichts: „Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen verstoße voraussichtlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es sich in der gegenwärtigen Situation nicht mehr um eine notwendige Schutzmaßnahme handele, welche die damit verbundenen Grundrechtseingriffe rechtfertige“.
Schutzmaßnahmen gerechtfertigt
Die Richter gestehen zwar zu, daß das Infektionsgeschehen weiterhin dynamisch und der Erlass von Schutzmaßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt sei, aber der Verordnungsgeber habe inzwischen weitgehende Lockerungen in nahezu allen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen zugelassen und bekämpfe das Infektionsrisiko inzwischen durch Hygiene- und Infektionsschutzregeln. Daher sei es nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen – gleich welcher Art und unter welchen Umständen sie erfolgten – nach wie vor ein vollständiger Ausschluss von Infektionsgefahren erforderlich sei.
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Aus der Begründung des Gerichts:
Bei den regelmäßig auf zwei Personen beschränkten sexuellen Kontakten dürfte die Gefahr zahlloser Infektionsketten, auf deren Vermeidung es dem Verordnungsgeber offenbar ankomme, wohl nicht in gleichem Maße bestehen wie bei einigen der von ihm zugelassenen Veranstaltungen. Zu einer vom Land NRW angesprochenen erhöhten Atemaktivität und dem damit verbundenen vermehrten Ausstoß von möglicherweise virushaltigen Aerosolen komme es gleichermaßen in Sportstätten, wo die Ausübung nicht-kontaktfreier Sportarten gestattet sei, und in Fitnessstudios.
Es sei auch nicht ersichtlich, dass das mit dem Ausstoß von Aerosolen verbundene Risiko der Ansteckung bei sexuellen Handlungen zweier Personen deutlich größer sei als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen, die zum Teil durch eine ausgelassene Atmosphäre mit Musik, Tanz und dem Konsum alkoholischer Getränke geprägt seien und nach Angaben des Robert Koch-Instituts landesweit als Ursache größerer und kleinerer Ausbruchsgeschehen gelten würden. Den Infektionsgefahren bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen könne durch begleitende Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen begegnet werden. Dass Infektionsschutzkonzepte regelmäßig nicht umgesetzt werden könnten, sei nicht feststellbar.
Die Untersagung sexueller Dienstleistungen in der Coronaschutzverordnung sei in vollem Umfang vorläufig außer Vollzug zu setzen. Der festgestellte Mangel erfasse das Regelungskonzept des Verordnungsgebers in Gänze, weil er sexuelle Dienstleistungen, allein an die Tätigkeit anknüpfend, umfassend verbiete.
Zuvor hatte der Senat mit Beschluss vom 25. Juni 2020 – 13 B 800/20.NE – entschieden, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn der Verordnungsgeber die Erbringung von sexuellen Dienstleistungen, wie sie üblicherweise in Bordellen angeboten würden, untersage, um die Weiterverbreitung des Coronavirus einzudämmen. Mit Blick auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens und das nunmehr bestehende Gesamtkonzept des Verordnungsgebers ist die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen nach Auffassung des Gerichts aktuell nicht mehr gerechtfertigt.
Aktenzeichen: 13 B 902/20.NE
Der Beschluss ist unanfechtbar.
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Quelle: PM OVG NRW vom 8.9.2020