Ob auf dem flachen Land oder im Kreißsaal , überall fehlt es an Hebammen. Jetzt soll Digitalisierung Abhilfe schaffen – und ein neuer Studiengang.
Es gibt immer weniger Hebammen. Um die dramatische Lage zu entschärfen, soll die Hilfe der Hebamme jetzt auch via Smartphone und Computer in Anspruch genommen werden können. Klärungsbedarf besteht aber noch hinsichtlich der Anbindung der Hebammen-Dienste an die Telematikinfrastruktur und die Integration z. B. von Videosprechstunden in den Versorgungsalltag.
Obwohl die Zahl der „Kunstfehler“ bei Hebammen überhaupt nicht gestiegen ist, müssen sie immer mehr für ihre obligatorische Berufshaftpflicht bezahlen. Auf durchweg über 8.000 Euro sind die Jahresbeiträge für sie gestiegen, weil die Versicherungen mit wachsenden Kosten ringen. Denn geburtsgeschädigte Kinder leben heute aufgrund des medizinischen Fortschritts deutlich länger, und die Richter sprechen betroffenen Familien zudem zunehmend höhere Entschädigungssummen zu. Die Folge: Immer mehr Hebammen werfen das Handtuch, und wer sich heute nicht gleich nach dem positiven Schwangerschaftstest um eine Hebamme kümmert, steht später mit Kind, aber ohne Hebamme da.
Videokonferenz statt Bauchabtasten
Da ist guter Rat digital. So bieten bereits einige freie Hebammen Videosprechstunden für Schwangere und Wöchnerinnnen an. Auch einschlägige Online-Plattformen wie “ kinderheldin“ oder „call a midwife“ sind schon auf dem Markt und mit den Gesetzlichen Krankenkassen im Gespräch, damit diese ihre Leistungen übernehmen oder zumindest eine Zuzahlung erfolgt.
Der Deutsche Hebammen Verband (DHV) sieht diese digitalen Geschäftsmodelle derzeit noch eher kritisch und fordert stattdessen von der Bundesregierung, erst einmal die gesetzlichen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für solche digitalen Innovationen zu schaffen. Dazu gehöre vor allem „die zeitnahe technische Umsetzung und Angliederung der Hebammen an die Telematik-Infrastruktur mittels eines elektronischen Heilberufsausweises (eHBA)“. Denn ohne den eHBA, der bisher nur Ärzten und Zahnärzten zusteht, sei den Hebammen der erforderliche Zugang auf die elektronische Patientenkarte nicht möglich.
Chronische Arbeitsüberlastung
Damit regiert der DHV auf einen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit, der bereits im Mai 2019 die „Verwendung eines Kommunikationsmediums“ bei der „Versorgung mit Hebammenhilfe“ für zweckdienlich hält und für die Versorgung mit Hebammenhilfe drei Beratungsleistungen nennt, die auch „mittels Telefon oder anderer technische Medien“ erbracht werden können: die Beratung der Schwangeren, die Beratung der Wöchnerin und die Beratung bei Still- und Ernährungsproblemen. Darüber hinausgehende digitale Leistungen, insbesondere eine Vergütungsposition für Videosprechstunden, sind bisher im Hebammenhilfevertrag nicht vereinbart und können von den Gesetzlichen Krankenkassen somit nur freiwillig als zusätzliche Satzungsleistungen erbracht werden.
Ob digital oder analog – Tatsache ist, dass (so der DHV) „Hebammen in Deutschland inzwischen dauerhaft mehr als doppelt so viele Gebärende betreuen wie Hebammen in anderen europäischen Ländern“. Eine chronische Überbelastung, die immer mehr Hebammen veranlasst, komplett aus dem Beruf auszusteigen. Die Folge: Kreißsäle schließen aufgrund Personalmangels, und die Zahl der freiberuflichen Hebammen sinkt gleichzeitig nicht zuletzt aufgrund der hohen Berufshaftpflichtversicherungen. Ob vor diesem Hintergrund eine Akademisierung die Probleme des Hebammenberufes löst, ist zu bezweifeln.
Mit Akademisierung gegen Fachkräftemangel ?
Während Hebammen Deutschland bislang an Hebammen-Schulen ausgebildet wurden, an denen sich jeder mit mittlerer Reife oder gleichwertigem Schulabschluss bewerben konnte, braucht es dazu jetzt das Abitur. Das verlangt eine geltende EU-Richtlinie, die Gesundheitsminister Jens Spahn – so im Koalitionsvertrag bereits vereinbart – bis zum 18. Januar 2020 umsetzen muss. Wie in vielen anderen europäischen Ländern üblich, wird der Zugang zum Hebammenberuf dann auch hierzulande nur noch über ein Hochschulstudium möglich sein.
Auch wenn laut Jens Spahn „die Anforderungen an die Geburtshilfe ständig steigen“ ändert das für den DHV nichts an der Tatsache, dass die Schieflage der Geburtshilfe in Deutschland maßgeblich strukturell begründet ist. Natürlich sei es langfristig wünschenswert, dass Hebammen auch hinsichtlich des vom DHV geforderten Zugangs zur elektronischen Patientenkarte mit den Ärzten auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Doch die anstehende Umstellung auf einen Hebammen-Studiengang wird auf absehbare Zeit wohl kaum etwas daran ändern, dass Schwangere nicht mehr die freie Wahl des Geburtsortes haben, weil es fast keine Geburtshäuser oder Hebammen geben wird, die Hausgeburten leiten.
Berufshaftpflicht kaum noch bezahlbar
In einer ergänzenden Stellungnahme zum im Bundestag diskutierten Hebammenreformgesetz (HebRefG) vom Juni 2019 heißt es denn auch: „Die hochschulische Hebammenausbildung ist ein erster Schritt zur nachhaltigen Bekämpfung des Fachkräftemangels, sowohl im klinischen wie auch im ambulanten Bereich. Die Akademisierung des Berufs allein kann jedoch nicht die strukturellen Defizite der Versorgungslandschaft auffangen, die (…) zum Fachkräftemangel geführt haben.“
Wenn nach Angaben des DHV schon jetzt kaum noch freie Planstellen in den Kreissälen besetzt werden können und in der Folge nicht selten drei und mehrere Gebärende von einer einzelnen Hebamme betreut werden müssen, sollten „über die Akademisierung hinaus schnell wirksame Maßnahmen ergriffen werden“, und das seien vor allem bessere Arbeitsbedingungen und bessere Betreungsschlüssel.
Und für die freiberuflichen Hebammen? „Da muss ganz klar ein anderes Konzept gefunden werden, wie die hohe Haftpflichtversicherung bezahlt werden kann bzw. wie dieser Versicherungssumme entgegengesteuert werden kann“, sagt Katharina Perreira, freiberufliche Hebamme in Berlin, in einem CICERO-Interview bereits im Dezember 2018. Da ist aber bis heute noch nichts in Arbeit.