Grenzüberschreitendes Privatinkasso nach Verkehrsdelikten ist auch eine „Errungenschaft“ des zusammenwachsenden Europas. Wer denkt, er kann sich der Zahlung eines „Auslands-Knöllchens“ entziehen, der kennt das europäische Recht nicht.
Zu schnell unterwegs, während der Fahrt per Handy mit den Angehörigen daheim telefoniert oder die Streifen auf dem Bürgersteig entlang der Fahrbahn nicht beachtet? Jeder sechste Auslandsfahrer musste – so das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Umfrage – schon mal eine Geldbuße wegen eines Regelverstoßes zahlen.
Dieses Ergebnis verwundert eigentlich nicht, denn jeder fünfte, der im Ausland unterwegs ist, kennt die dortigen Vorschriften nicht! Wieder zu Hause angekommen (oder manchmal erst nach Jahren) wartet dann eine böse Überraschung im Briefkasten: ein Strafzettel aus dem Ausland, der einen längst vergessenen oder gar nicht wahrgenommenen Verstoß gegen das Verkehrsrecht des Urlaubslandes ahndet. Absender sind zumeist private in- und ausländische Inkassounternehmen oder Anwälte.
Vollstreckungsabkommen greifen ab 70 Euro
Wer nun denkt, dass er das Bußgeld aus den Niederlanden, Kroatien, Italien, Spanien, Ungarn oder Großbritannien nicht zahlen muss, weil er sich ja wieder weitab auf deutschem Boden befindet, irrt folgenschwer. Denn seit einigen Jahren gibt es ein Vollstreckungsabkommen innerhalb der EU; ab einer Bagatell-Grenze von 70 Euro werden ausländische Geldbußen auch in Deutschland von den zuständigen Behörden vollstreckt.
Und Vorsicht: Selbst wenn das eigentliche Bußgeld geringer als 70 Euro ist, kommt eine Bearbeitungsgebühr hinzu, die zur eigentlichen Geldbuße großzügig hinzu gerechnet wird. Also einmal falsch im Ausland geparkt und einfach nicht bezahlt, schon kann der Gerichtsvollzieher vor der Tür stehen!
Im Vergleich ist Deutschland ein Knöllchen-Schnäppchenparadies
Verkehrssünder werden zudem bei unseren europäischen Nachbarn durchweg stärker zur Kasse gebeten als in Deutschland. Spitzenreiter bei den Geldbußen ist Großbritannien mit bis zu 7.000 Euro für mehr als 0,8 Promille Alkohol am Steuer, und auch in den Niederlanden sollten Touristen genau auf die Verkehrsregeln achten. Meistens geht es allerdings um Park- und Mautverstöße oder um das Fahren in verkehrsbeschränkten Innenstädten oder Umweltzonen, was nicht selten einer unzureichenden Beschilderung vor Ort geschuldet ist.
Inkassorekord 2017 – 450.000 Verfahren für Auslandsverstöße
„Die Betroffenen werden oft nicht vor Ort über ihr Fehlverhalten informiert, und sie erhalten keine Gelegenheit, die Sanktion vor Ort nach ‚Einheimischentarif‘ zu begleichen“, sagt Markus Schärpe, Leiter der Juristischen Zentrale des ADAC. Dort gehören die Zahlungsaufforderungen wegen Verkehrsverstößen im Ausland derzeit zu den Top-Themen der Rechtsberatung. Denn allein 2017 gab es in Deutschland 450.000 private Inkasso-Verfahren nach Verkehrsverstößen im europäischen Ausland.
Kein Wunder also, dass die grenzüberschreitende Eintreibung der häufig unverhältnismäßigen und intransparenten Geldbußen auch auf dem soeben beendeten 56. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar ganz oben auf der Tagesordnung stand. Ein spezieller Arbeitskreis nahm die Legalität dieses Geschäftsmodells und die geltenden europarechtlichen Rahmenbedingungen kritisch unter die Lupe .
Verkehrsgerichtstag 2018 sieht dringenden Regelungsbedarf
Die Verkehrsexperten in Goslar sehen dringenden Regelungsbedarf auf nationaler und EU-Ebene. Denn privates Inkasso bei öffentlich-rechtlichen Bußgeldern aus Straßenverkehrsverstößen sei auch und vor allem im Anwendungsbereich des EU-Rahmenbeschlusses Geldsanktionen grundsätzlich auszuschließen. Stattdessen sei es Aufgabe der Kommunen, Regionen und Straßenbetreiber vor Ort, die betroffenen Autofahrer zeitnah und verständlich in ihrer jeweiligen Landessprache zu informieren, ohne dass die ursprüngliche Forderung durch ungerechtfertigte Nebenkosten erhöht würden.
Um Autofahrern erst einmal eine Anlaufstelle bei streitigen Fällen zu geben, fordert der Arbeitskreis in Goslar weiter die Installierung eines Ombudsmannes und – an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gerichtet: ein Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene mit dem Ziel eines Verbrauchergerichtsstandes, damit zivilrechtliche Forderungen aufgrund von Verkehrsverstößen ausschließlich dort durchgesetzt werden können.
Quelle: J.C. mit Material der dts-Nachrichtenagentur