Eine im EU-Ausland wirksam geschlossene Ehe ist auch dann gültig, wenn einer der Ehepartner minderjährig ist. Diese Ehe kann im Regelfall nicht nach deutschem Recht aufgehoben werden, da ansonsten das Recht der Ehegatten auf Freizügigkeit innerhalb der EU verletzt wird.
Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) die Aufhebung einer Minderjährigenehe abgelehnt. Ausgangspunkt war eine im Frühjahr 2018 in Bulgarien geschlossene Ehe. Die Frau war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Das Paar hatte bei der Eheschließung schon ein gemeinsames Kind. Zum Zeitpunkt von dessen Geburt war die jetzige Ehefrau erst 15 Jahre alt. Seit Sommer 2018 lebt das bulgarische Ehepaar in Deutschland.
Die zuständige Behörde des Landes Hessen beantragte beim zuständigen Amtsgericht, diese Ehe aufzuheben. Nach ihrer Meinung sei die Frau bei der Eheschließung minderjährig und nicht „ehemündig“ gewesen. Der Antrag wurde abgelehnt. Die daraufhin erfolgte Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt (Main) war erfolglos.
Nach Meinung der OLG-Richter liegen die Voraussetzungen für eine Eheaufhebung nicht vor. Die Ehe sei nach dem, in diesem Fall anwendbaren, bulgarischen Recht wirksam geschlossen worden. Auch dort gibt es die Voraussetzung der „Ehemündigkeit“ mit 18 Jahren. Aber Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, können in Bulgarien mit der Genehmigung eines „Rayonsrichters“ die Ehe schließen. Diese Genehmigung lag vor.
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Aus der Begründung des Gerichts
Eine nach ausländischem Recht wirksam geschlossene Ehe sei nach deutschem Recht aufhebbar, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet habe (Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB). Entsprechend könne nach den hier maßgeblichen nationalen Regelungen eine Ehe aufgehoben werden, wenn sie entgegen § 1303 S. 1 BGB mit einem Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr vollendet habe, geschlossen worden sei. Die Aufhebung sei jedoch ausgeschlossen, wenn sie aufgrund „außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint“. So sei es hier.
Der Gesetzesbegründung sei zu entnehmen, dass über diese Härtefallregelung auch die Verletzung von Freizügigkeitsrechten der Unionsbürger vermieden werden solle. Grundsätzlich sei eine EU-rechtskonforme Auslegung der Norm zu gewährleisten. Die Aufhebung der Ehe würde die Antragsgegner in ihrem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU verletzen (Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Demnach dürfe sich jeder Unionsbürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten. Würde die Ehe eines Unionsbürgers, die nach dem Recht eines seiner Mitgliedstaaten wirksam geschlossen wurde, in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund der dort geltenden nationalen Bestimmung aufgehoben, behindere dies den Betroffenen in seiner Freizügigkeit. Die Eheaufhebung würde darüber hinaus gegen das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und Aufenthalt verstoßen (Art. 45 Abs. 3 b) und c) AEUV).
Die im Raum stehende Verletzung der Freizügigkeitsrechte sei hier auch nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung (ordre public) gerechtfertigt. Das seit Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Aufhebung von Kinderehen bezwecke den Schutz von über 16-jährigen minderjährigen Eheleuten. Die Antragsgegnerin sei hier jedoch nicht in dem Maße schutzbedürftig, wie dies dem Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes vorgeschwebt habe. Weder die Ermittlungen des Jugendamtes noch ihre Anhörung hätten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Antragsgegnerin die Tragweite und die Rechtsfolgen der Eheschließung bei der Heirat nicht erfasst habe. Zudem wollten die Antragsgegner auch künftig als verheiratetes Paar mit ihren gemeinsamen Kindern weiterleben.
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Quelle: PM OLG Frankfurt/Main vom 4.9.2019
Az.: 5 UF 97/19 Der Beschluss ist nicht anfechtbar.