Fast überfallartig wurde die Novelle des Infektionsschutzgesetzes (InfSchG) in nur 15 Tagen von der GroKo durch das gesamte Gesetzgebungsverfahren geschleust. Das ist rekordverdächtig. Allerdings ist es ein umstrittener Rekord.
Im neu eingefügten Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes listet der Gesetzgeber nun 17 Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung auf, die Bund und Länder im Pandemiefall ergreifen können. Aufgeführt werden u.a.: eine Maskenpflicht, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Abstandsgebote im öffentlichen Raum.
Gerichte gegen Obrigkeitsstaat
Bisher gab es nur eine Generalklausel im InfSchG, die „notwendige Maßnahmen“ erlaubte. Was notwendige Maßnahmen sind, sollten die Bundesländer mit ihren Rechtsverordnungen regeln. Das taten sie auch, mit wechselhaftem Erfolg. Die betroffenen Bürger und Unternehmen wehrten sich gegen die Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten. Die sahen einige der Maßnahmen als nicht „notwendig“ an und sprachen den Corona-Verordnungen die Rechtmäßigkeit ab (Beispiele: Beherbergungsverbot, Sperrstunde, Fitnessstudios).
Zukünftig sollen die Maßnahmen der Länder auf vier Wochen befristet werden, jedoch mit einer Verlängerungsmöglichkeit. Außerdem müssen die Länder ihre Entscheidung ausführlich begründen. Dafür verspricht die GroKo, den Bundestag künftig besser zu informieren.
GroKo beseitigt rechtliche „Schwachstellen“
Der neue Paragraph 28a des InfSchG soll die Wende bringen. Die von den Gerichten immer wieder monierte Konkretisierung der Maßnahmen will die Regierung jetzt nachbessern, um künftige Klagen vor den Verwaltungsgerichten zu vermeiden. Außerdem sollen die, aus Regierungssicht notwendigen, Grundrechtseinschränkungen besser begründet werden. In diesem Sinne wird auch der Bundestag eingebunden, der durch seine Zustimmung zu den Änderungen für die künftigen Einschränkungen mitverantwortlich ist.
Staatsrechtler kritisiert fehlende Parlamentsbeteiligung
Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart fordert Nachbesserungen. Das demokratische Defizit, das darin liege, dass Kanzleramt und Landesregierungen über Corona-Maßnahmen entschieden, und nicht die Parlamente von Bund und Ländern, bleibe, „wenn auch abgemildert“, bestehen.
Auch inhaltlich erkennt der renommierte Jurist Schwachstellen. Er hält die vorgesehene Präzisierung des Infektionsschutzgesetzes für nicht ausreichend. „Die Zeit nach Abklingen der ersten Welle hätte genutzt werden müssen, um gesicherte Rechtsgrundlagen zu schaffen. Stattdessen wird jetzt wieder im Eilverfahren ein Gesetz durch den Bundestag gebracht“, kritisiert Degenhart im Handelsblatt.
Lindner: Novelle ist ein Blankoscheck
Im ZDF-Morgenmagazin kritisiert FDP-Chef Christian Lindner das Express-Gesetz. Nach seiner Meinung schaffen die geplanten Änderungen „nicht die rechtliche Klarheit, die wir brauchen“ und auch nicht die „klare Berechenbarkeit staatlichen Handelns.“ Nach Lindners Meinung hat sich die Regierung einen „Blankoscheck“ ausgestellt.
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Die Freien Demokraten monieren, daß keine Kritierien festgelegt wurden, wann welche Maßnahmen ergriffen werden. Auch sei nicht geregelt, ob der Bundestag oder die Länderparlamente Schutzverordnungen zustimmen müssen.
Union lobt „rechtsstaatliche Klarheit“
Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU) verteidigt die Novelle. „Wir müssen auf die Entwicklungen von Sars-CoV-2, beispielsweise im Bereich der Impfungen oder der Liquidität von Krankenhäusern, reagieren. Es gibt dabei explizit keine unbegrenzten Handlungsvollmachten“, so Rüddel gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es gelte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Damit sind die rechtsstaatliche Klarheit einerseits und die nötige Flexibilität andererseits gegeben“, so der CDU-Politiker.
Auch der Koalitionspartner SPD ist von dem Gesetzesvorhaben überzeugt. Dorothee Martin, die für die Sozialdemokraten im Finanzausschuß des Bundestages sitzt, schreibt auf Twitter: „Wir stimmen heute über weitreichende Maßnahmen ab, die auch ich gut abgewogen habe. Kritik und Protest dazu ist völlig okay.“