Nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Unternehmen fragen sich, was sie gegen schlechte Bewertungen und Verunglimpfungen im Internet unternehmen können? Fake-Bewertungen und beleidigende Äußerungen sind im Netz an der Tagesordnung.
Ob Immobilien, Auto-Kindersitze, Ärzte, Hundefutter, Waschmaschinen oder Hotels und Restaurants: Mehr als jeder zweite Online-Käufer (56 Prozent) nutzt Kundenbewertungen im Internet als wichtige Orientierung beim Kauf eines Produktes oder vor der Entscheidung für eine Dienstleistung. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom.
So setzen 62 Prozent der Frauen auf Bewertungen, bei männlichen Online-Käufern sind es rund 50 Prozent. Dabei ist die Meinung anderer Käufer mit 66 Prozent vor allem in der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen gefragt. Mit zunehmendem Alter verlieren die Bewertungen im Netz allerdings an Bedeutung: Von den über 65-Jährigen nutzen vor dem Kauf nur noch 39 Prozent die Bewertungsportale. Dabei sind die Bewertungen für die Anbieter zugleich Fluch und Segen.Denn die Algorithmen im Netz können solche Bewertungen zu regelrechten Lawinen werden lassen.
Unlauteres Mittel im Konkurrenzkampf
„Wer dort digital nicht präsent ist, existiert nicht“, sagte James Ardinast, Restaurantbetreiber und Vorsitzender der Initiative Gastronomie Frankfurt, der Frankfurter Neuen Presse und rät allen Mitgliedern der Initiative, bei schlechten Bewertungen persönlich auf jeden Kritikpunkt einzugehen. „Wir laden die Leute, die unzufrieden waren, noch einmal ein, auf unsere Kosten zum Essen zu kommen.“ Aber 70 bis 80 Prozent würden auf dieses Angebot nicht antworten. „Da kommen schon Zweifel auf, ob da nicht auch viele Fake-Bewertungen darunter sind“, sagt Ardinast.
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Solche Fake-Bewertungen von Konkurrenten oder Trollen sind natürlich strafbar, aber die Beweisführung ist sehr schwierig. Denn wer den Konkurrenten abmahnen möchte, muss erst einmal den Nachweis erbringen, dass dieser die Fakes in die Welt gesetzt bzw. ins Netz gestellt hat. „Unternehmen sollten sich einen Anwalt nehmen, wenn sie geschäftsschädigende Bewertungen nicht selbst mit geringem Aufwand entfernen können“, rät deshalb Karsten Gulden, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht.
Auch „positive“ Fakes sind strafbar
Juristisch anfechtbar, da in der Regel unvereinbar mit den AGBs der Bewertungsplattformen, sind natürlich auch die (gekauften) positiven Fake-Bewertungen von Nicht-Kunden, mit denen sich Unternehmen immer häufiger im Netz präsentieren. Die sind auch auf den zweiten Blick oft nur schwer zu erkennen, und es kommt relativ selten vor, dass die Verkäufer und Nutzer dieser Fakes von Verbraucherschutzzentralen und betroffenen Mitbewerbern abgemahnt werden und am Ende gar Schadensersatz zahlen müssen.
Neben den erschummelten bzw. gekauften Bewertungen gibt es im Netz auch immer häufiger solche, die als pure Schmähkritk die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzen. Einfach mal richtig Frust ablassen über den letzten enttäuschenden Restaurant-Besuch, den unvorteilhaften Autokauf oder pfuschenden Handwerker – das kann laut Art. 5, Abs. 1 des Grundgesetzes keinem verboten werden: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Aber wann wird aus der Meinung eine rufschädigende Beleidigung? Darf ein enttäuschter Gast auf Facebook oder Google ein Lokal zum Beispiel als „verkommenden Saustall“ bezeichnen? Die Rechtsprechung ist da alles andere als einheitlich.
Meinungsfreiheit oder Schmähkritik ?
Wenn über eine Person oder ein Unternehmen eine Bewertung öffentlich zugänglich abgegeben wird, kommt es zu einer Kollision des oben zitierten Grundrechts auf Meinungsfreiheit mit den ebenfalls grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechten des Bewerteten. Und das gilt auch für die auf eine automatisierte Auswahl gestützte und in Sternen ausgedrückte Gesamtbewertung von Unternehmen und Dienstleistungen, wie sie z. B. durch das Bewertungsportal Yelp erfolgt.
Im konkreten Fall fühlte sich die Betreiberin mehrerer Fitnessstudios im Raum München durch besagtes Internet-Unternehmen schlecht und unzutreffend bewertet. In einem erst am 14. Januar gefällten Urteil entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die schutzwürdigen Belange von Yelp die rechtlich geschützten Belange der Klägerin überwögen, und wies ein anderslautendes Urteil des Oberlandesgerichtes München ab. Die Einstufung von Bewertungen in „empfohlen“ und „nicht empfohlen“ sei durch die Berufs- und Meinungsfreiheit geschützt. „Ein Gewerbetreibender muss Kritik an seinen Leistungen und die öffentliche Erörterung geäußerter Kritik grundsätzlich hinnehmen“, sagte der Vorsitzende Richter des BGH Stephan Seiters.
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Zweierlei Maß im Rechtssystem
Tatsache ist, dass das im Grundgesetz verankerte Recht auf die öffentliche Kundgabe einer Meinung über eine Person oder ein Unternehmen gleichzeitig auch in das Persönlichkeitsrecht bzw. Unternehmenspersönlichkeitsrecht des Kritisierten eingreift. Aber während im Netz weiter anonym beleidigt und gepöbelt werden kann, sollen künftig bei Verbalattacken auf Politiker und Amtsträger schärfere Gesetze gelten. Diese will die Bundesregierung jetzt mit hohen Haftandrohungen gegen Verunglimpfungen im Netz schützen. Dazu hat sie bereits eine Gesetzesverschärfung beschlossen, die nach den jüngsten Morddrohungen gegen die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir, rasch umgesetzt werden soll.
Den Gesetzgeber hat offensichtlich der Fall der Bundestagsabgeordneten und früheren Ministerin Renate Künast (Grüne) aufgeschreckt. Da waren Richter am Landgericht Berlin im September 2019 zu dem Ergebnis, dass u. a. die gerügte Beschimpfung „Geisteskranke“ auf Facebook zwar haarscharf an der Grenze des Hinnehmbaren sei, damit jedoch „keine Diffamierung der Person“ und „keine Beleidigung“ vorläge.
Auch wenn das Berliner Urteil in der Tat schwer nachvollziehbar ist und hier eine rasche gesetzgeberische Initiative geboten scheint, bleibt die Frage: Sollten nicht auch für Normalbürger und Gewerbetreibende eindeutigere und verbindlichere Gesetzesregelungen gefunden werden, um sie vor falschen, ehrenrührigen und irreführenden Schmähungen und Bewertungen im Netz zu schützen?
1 Kommentare
Hallo Herr Christen,
ein zweischneidiges Thema, welches ich kürzlich auf meiner Unternehmensseite ebenfalls angesprochen hatte. https://www.content-werkstatt.com/blog/bewertungen-und-meinungsfreiheit/
Hier handelt sich um eine hausgemachte Never-Ending-Story. Noch mehr Gesetze? Noch mehr Futter für Rechtsanwälte? Die überlasteten Gerichte noch öfter anrufen? Die ganze Thematik lässt sich nicht mehr eindämmen und schon gar nicht überregulieren. Es sind soziale, psychologische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Missstände, die das Problem weiterhin befeuern. Man kann nur zu Askese bei sozialen Medien und dem Einschalten des gesunden Menschenverstandes anraten. Aber wer will das schon (hören)? 😉
VG, Petra Ofner
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