Der Deutsche Richterbund und auch immer mehr Politiker aus unterschiedlichen Parteien möchten Schwarzfahren aus dem Strafgesetzbuch streichen und zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen. Darüber sprach ich mit Axel Nagler von der Essener Kanzlei Nagler, Rothfahl, Haberkern und Partner. Der erfahrene Strafrechtler ist auch im Vorstand der Strafverteidiger-Vereinigung NRW tätig und kann auf eine langjährige Berufspraxis zurückblicken.
R.B.: Herr Nagler, wie beurteilen Sie die Initiative des Richterbundes? Ist das mehr als ein Versuchsballon, um die gesetzgeberische Windrichtung zu prüfen?
Ich glaube, dass der Vorstoß ernst gemeint ist, um Belastung der Justiz mit Bagatellverfahren zu erreichen. Vor diesem Hintergrund frage ich mich nur, weshalb nicht gleich ein paar andere Strafvorschriften mit bedacht worden sind (etwa Ladendiebstahl im Werte von bis zu 50,– € u.a.). Allerdings sehe ich das Entlastungsargument als eher fragwürdig an und meine, dass das Strafrecht nicht nur in diesem Bereich aus sehr viel tragfähigeren kriminapolitischen Erwägungen entrümpelt werden sollte.
R.B.: Haben die Verkehrsbetriebe Recht? Wäre eine Herabstufung des Schwarzfahrens als Ordnungswidrigkeit ein Freifahrtschein?
Das halte ich nicht für richtig, denn das müsste in gleicher Weise für alle Ordnungswidrigkeiten gelten. Im Übrigen kann das Kontrollpersonal zwar niemanden festnehmen, aber immer die Polizei zur Personalienfeststellung hinzuziehen.
R.B.: Herr Nagler, Sie kennen durch ihre Tätigkeit als Strafverteidiger die Situation in den Gefängnissen. Sind Ersatzfreiheitsstrafen ein Problem aus ihrer Sicht?
Das ist in der Tat ein Problem, denn solch kurze Freiheitsstrafen sind im Verhältnis zu dem Aufwand, der damit betrieben werden muss, unverhältnismäßig unwirksam. Man sollte die Möglichkeit, die Geldstrafe durch gemeinnützige Tätigkeit abzuarbeiten, ausbauen und ggf. auch im Ordnungswidrigkeitenrecht einführen, denn auch dort wird, wenn nicht gezahlt wird, letztlich Haft vollstreckt.
R.B.: Glauben Sie, dass die Bevölkerung eine Rechtsänderung akzeptieren würde?
Geht hier nicht Kostensparen zu Lasten des Gerechtigkeitsgefühls?
Es könnte ein Akzeptanzproblem geben wenn man es bei dieser Maßnahme beließe, obgleich ich auch meine, dass Schwarzfahren in den Augen der Bevölkerung eh eine läßliche Sünde ist, solange der öffentliche Nahverkehr so organisiert ist wie derzeit.
RA Axel Nagler
Rechtsanwalt Axel Nagler ist Mitbegründer der Kanzlei Nagler/Rothfahl/Haberkern & Partner in Essen. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Strafrecht sowie dem Asyl- und Ausländerrecht.
III. Hagen 39, 45127 Essen
www.raenagler.de
R.B.: Wie ist Ihre persönliche Sicht als Strafverteidiger auf das Problem Schwarzfahren?
Der ÖPNV ist zu schlecht aufgestellt und im Verhältnis dazu für den Nutzer viel zu teuer. Wenn man sich ansieht, wie viel Geld für den Individualverkehr ausgegeben wird, könnte – und sollte – der ÖPNV deutlich besser ausgebaut und preiswerter gestaltet werden. Damit ließe sich nicht nur die Umwelt verbessern, sondern auch der Dauerstau bekämpfen.
Ich verweise als Beispiel auf Wien, wo die Verkehrsmittel dichter und zuverlässiger fahren und die Bürger für einen Euro pro Tag alle Verbindungen nutzen können, und das funktioniert gut!
Dann könnte man sich die gesamte Diskussion um Strafen, Bußgelder o.ä. schenken. In diesem Sinne ist im Übrigen auch der Plan der neuen Landesregierung NRW, die Zuschüsse zu den Fahrtkosten für Bedürftige zu streichen, deutlich ein Schritt in die komplett falsche Richtung.
R.B.: Herr Nagler, ich danke Ihnen für das informative Gespräch.