Der internationale Handel mit massenhaft manipulierten und gestreckten Medikamenten ist lukrativer als der Drogenhandel. Aber wer beim Tablettenkauf im Internet sparen will, setzt seine Gesundheit aufs Spiel.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 10 Prozent aller weltweit verkauften und mindestens 50 Prozent (!) der im Internet vertriebenen Arzneimittel Fälschungen. Eine Welle der Empörung ging durch ganz Deutschland, als 2018 in einem Prozess um massenhaft gepanschte Krebsmedikamente ein Apotheker aus Bottrop überführt und schließlich und gerecht zu 12 Jahren Haft verurteilt wurde. Der Mann hatte den Patienten Krebsmedikamente verkauft, bei deren Herstellung zwar die volle Wirkstoffdosis abgerechnet, aber nur eine geringere Dosis verwendet wurde. Das ist kein Einzelfall und offensichtlich nur die Spitze des Eisberges. So ermittelte im Januar 2019 das Landeskriminalamt in Brandenburg gegen einen Pharmagroßhändler aus Baden-Württemberg, der Krebsmedikamente bundesweit mit gefälschten Verpackungen und Beipackzettel vertrieben haben soll.
Ermittlungen gegen Pharmahändler nehmen zu
Wie aus ermittlungstechnischen Gründen erst jetzt bekannt wurde, haben Europol-Ermittler bereits Ende 2018 über 13 Millionen illegale Medikamente im Wert von 165 Millionen Euro sichergestellt und dabei – so heißt es – im Rahmen ihrer Ermittlungen 435 Personen europaweit verhaftet. Die Banden würden zunehmend Medikamente gegen Krebs- und Herzerkrankungen sowie leistungssteigernde und schmerzmildernde Mittel auf den Markt bringen, deren Wirkung oft nicht einmal den gefälschten Beipackzetteln entspräche. Die Ermittlungen gegen Pharmahändler häufen sich also. Und dabei geht es eben nicht nur um manipulierte Verpackungen und Beipackzettel.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verweist in einer Pressemitteilung z. B. auf Fälschungen des Präparates Alimta®500mg des Originalherstellers Eli Lilly, das in der Krebstherapie angewendet wird und gleich bei mehreren Parallelvertreibern entdeckt wurde. Bei diesen eigentlich für den tschechischen und slowakischen Markt manipulierten Präparaten mit offensichtlich abgelaufenem Verfallsdatum wurde die Original-Faltschachtel geöffnet und mit Klebstoff wieder verschlossen, nachdem die Folierung des Fläschchens und das dazugehörige Originaletikett entfernt und gegen ein gefälschtes Etikett mit einer gestohlenen Chargenbezeichnung und geändertem Verfallsdatum ausgetauscht wurde.
Besonders lukrativ ist für die Produktfälscher und deren vertreibende Handlanger der online-Verkauf von Potenzmitteln, die von liebeshungrigen Kunden nicht nur wegen des erhofft niedrigen Preises gern inkognito im Internet bezogen werden. Da kann es sogar passieren, dass die vom Kunden online bestellten Dragees eines deutschen Herstellers ganz ohne Verpackung und Beipackzettel aus Osteuropa oder gar Asien ins Haus kommen, bisweilen ganz ohne Verfallsdatum und/oder der sonst üblichen Code- und Chargennummer auf dem Blister.
Mehr Patientensicherheit durch EU-Fälschungsschutz
Nach Schätzungen von WHO und Interpol sterben jedes Jahr weltweit etwa eine Million Menschen an den Folgen von solchen Produktfälschungen. Denn gerade bei schweren, lebenswichtigen und sehr teuren Krebs- und Aids-Präparaten lohnt sich für die international agierenden Fälscherbanden das Geschäft mit gepanschten Medikamenten. So tauchen nicht nur in zweifelhaften Internetshops, sondern auch zunehmend in deutschen Apotheken illegale Arzneimittel auf: Einer Fälscherbande gelang es z. B., unerkannt 600.000 Packungen des gefälschten Magenmittels Omeprazol in die Apotheken zu schleusen – verpackt in den handelsüblichen Flaschen mit entsprechenden Aufklebern und Beipackzetteln.
Um dem mit Codes und Siegel Einhalt zu gebieten, gilt ab Februar 2019 europaweit eine neue EU-Fälschungsschutz-Richtlinie. Damit bekommen verschreibungspflichtige Medikamente künftig fälschungssichere Sicherheitsmerkmale, damit Apotheker und Patienten die echten Arzneimittel besser erkennen können. Securpharm nennt sich das neue, sehr aufwendige Projekt zur Fälschungsabwehr und soll die legale Lieferkette vor Plagiaten sichern, indem fortan jede Verpackung zum Unikat wird.
Großer Aufwand, aber noch keine Entwarnung
Dazu erhalten über 750 Millionen rezeptpflichtige Präparate als Sicherungskennzeichen ein Siegel oder eine bestimmte Perforation als Erstöffnungsschutz und zudem einen individuellen Code auf der Verpackung, der sich aus Produktcode, Chargennummer und Verfallsdatum zusammensetzt. Dieser sieht aus wie ein üblicher QR-Code und wird vor dem Verkauf in der Apotheke gescannt, mit den bei der Produktion vergebenen Nummern verglichen und dann aus der eigens eingerichteten Securpharm-Datenbank ausgebucht. Falls dieser Code schon einmal anderweitig ausgebucht wurde, ist eine Fälschung nicht auszuschließen, und der Apotheker muss seinen Verdacht den Behörden melden.
Das klingt gut und praxistauglich, ist für die niedergelassenen Apotheken, Pharmafirmen und Großhändler allerdings ein organisatorischer Kraftakt und vor allem für die Hersteller eine finanzielle Belastung. Die müssen ihre Fertigungsstraßen mit neuer Hard- und Software ausstatten und nicht selten eigens zusätzliche Fertigungshallen bauen. Dass die Pharma-Industrie dafür die Kosten von veranschlagt rund zehn Milliarden Euro mehrheitlich tragen will, zeigt bereits, wie dringlich ihr das Problem ist! Die Apotheker andererseits haben das Problem, dass sie aus ihren Lagerbeständen noch Millionen alter Packungen ohne die neuen Securpharm-Siegel und -Codes verkaufen müssen und dürfen. Es gilt also weiterhin: Vorsicht vor gefakten Pillen – nach wie vor besonders im Internet!
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Red. Hinweis: Wir haben den Text am 8.4.19 aktualisiert,
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