Die missbräuchliche Weitergabe von Kurzzeitkennzeichen kann nicht nur den Versicherungsschutz, sondern nicht selten auch das Leben Unschuldiger kosten. Ein folgenschwerer Verkehrsunfall wirft Fragen auf, die dringend einer Klärung bedürfen.
Beinahe jeder Autofahrer, der einmal außerhalb seines Wohnortes ein Auto gekauft hat, kennt das: Der Wagen ist abgemeldet, zur Probefahrt oder Überführung braucht‘s eine schnelle Interimslösung – das Kurzzeitkennzeichen. Das kann man sich in Tagesfrist für knapp 30 Euro übers Internet bestellen, und dazu reichen eine gültige eVB-Nummer für Kurzzeitkennzeichen sowie die Kopie des Personalausweises und des Fahrzeugscheins bzw. Fahrzeugbriefes – allerdings nicht des Führerscheins!
Die Gültigkeit dieser Kurzzeitkennzeichen ist zwar auf vier Tage begrenzt, sie werden aber gern und häufig an andere weitergegeben. Nicht nur in der Tuning-Szene, sondern auch an Straftäter. Zudem stellte der Bundesgerichtshof bereits in einem Urteil aus dem Jahre 2015 fest, dass es „offenbar einen verbreiteten Handel mit Kurzzeitkennzeichen gäbe, der mit einer Missbrauchs- und Betrugsgefahr einhergehe“.
Gefährlicher Handel mit Nummernschildern
Wie steht es aber um den Haftpflichtversicherungsschutz für Kurzzeitkennzeichen, wenn ein anderer Halter mit einem Fahrzeug unterwegs ist als der, welcher im Versicherungsschein aufgeführt ist? Und wie steht es um den Versicherungsschutz, wenn der Fahrer eines Wagens mit Kurzzeitkennzeichen noch nicht einmal einen Führerschein hat und einen folgenschweren Unfall verursacht? So geschehen am 30. Dezember 2018 auf der A5 in der Nähe des südhessischen Heppenheim: Ein 18-jähriger war auf seiner Flucht vor einer Zivilstreife der Autobahnpolizei mit extrem hoher Geschwindigkeit ungebremst auf einen Parkplatz gerast und auf einen dort geparkten Pkw geprallt, in dem eine Mutter mit ihrem Sohn saß.
Wer zahlt für den entstandenen Schaden?
Die 39-jährige Frau wurde durch den Aufprall so schwer verletzt, dass sie wenig später im Krankenhaus verstarb, auch ihr 10-jähriger Sohn wurde verletzt, überlebte jedoch. Der Vater des Jungen und Ehemann der Frau, der sich zur Zeit des Unfalls auf der Toilette der Raststätte befand, kam mit einem Schock ins Krankenhaus. Der Verursacher des tragischen Unfalls hat nach Polizeiangabe keinen Führerschein. Auslöser seiner Flucht war die Absicht der Zivilstreife, das Fahrzeug zu kontrollieren, weil dessen Kurzzeitkennzeichen abgelaufen war.
Gegen den jugendlichen führerscheinlosen Unfallfahrer, der bei dem Aufprall ebenfalls schwer verletzt wurde, erging Haftbefehl. Nach der Behandlung im Krankenhaus soll er ins Gefängnis gebracht werden. Ob und inwieweit der mögliche Einfluss von Alkohol oder Drogen am Ende Einfluss auf das Urteil haben wird, ist derzeit ebenso offen wie die Frage, wer für den Schaden insgesamt haftet? Die Haftpflichtversicherung, der im Fahrzeugschein ausgewiesene Halter des Wagens, die Eltern des Jungen, die mit Kurzzeitkennzeichnen handelnde Firma? Oder derjenige, der das rote Nummernschild womöglich „nur“ verliehen hat?
Kein Versicherungsschutz für die Opfer
Eins steht fest: Der in der Praxis verbreitete Handel mit Kurzzeitkennzeichen mit und unter Privatpersonen sowie das Verleihen derselben ist nicht nur mit straf- und ordnungsrechtlichen Konsequenzen für die Beteiligten, sondern auch mit versicherungsrechtlichen Problemen verbunden. Und die bedürfen dringend einer Klärung, z. B. durch den alljährlich Ende Januar in Goslar stattfindenden Verkehrsgerichtstag.
Die Versicherer, die ein Kurzzeitkennzeichen für einen im Versicherungsvertrag genannten Halter ausstellen, weigern sich natürlich, Schäden zu ersetzen, die ein anderer Fahrer (oder gar ein Fahrer ohne Fahrerlaubnis) mit einem Kurzzeitkennzeichen verursacht. Auch dann, wenn es nicht – wie im besonders tragischen Fall Heppenheim – zudem noch abgelaufen ist. Ein Versicherungsschutz kann – so der BGH – nicht weitergegeben werden.
Wie problematisch die Kurzzeitzulassung sein kann, zeigen immer wieder Vorkommnisse im Umfeld der Tuning-Szene. Da werden im Wiederholungsfall Autos gestoppt, die von Personen gefahren werden, die in den Papieren nirgends genannt oder zum Führen des Pkw’s nicht berechtigt sind. Das birgt nicht nur Versicherungsrisiken, sondern auch und vor allem zivilrechtlichen Klärungsbedarf.