Für die Bundesregierung ist die gesetzliche Masernimpfpflicht jetzt beschlossene Sache. Bei Kindern gibt es künftig kaum Ausnahmen. Und auch einige Erwachsenengruppen müssen sich impfen lassen. Doch der Bundesrat fordert bereits Änderungen, und das Gesetz scheint vielen so lückenhaft wie ein Schweizer Käse.
Nach dem von der Bundesregierung jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf soll die Masern-Impfpflicht ab März 2020 gelten. Ab dann müssen Eltern für ihre Kinder bei Eintritt in die Kita oder Schule die erfolgte Masern Impfung vorweisen. Für Kinder, die bereits im Kindergarten oder in der Schule sind, muss allerdings erst bis spätestens 31. Juli 2021 eine Impfung nachgewiesen werden. Wieso, warum solche Ausnahmen, fragen Kritiker.
Schon jetzt ist absehbar, dass die solcherart verordnete Masernimpfpflicht die Gerichte beschäftigen wird. Die dürfen bei Nichtbefolgung Bußgelder bis zu 2.500 Euro verordnen. Dieses kann dabei nicht nur gegen die Eltern verhängt werden, sondern auch gegen Kindertagesstätten, die nicht geimpfte Kinder zulassen, sowie gegen nicht geimpftes Personal von Gemeinschaftseinrichtungen oder auch deren Bewohner. In Asylbewerber-oder Flüchtlingsunterkünften sollen – so sieht es das neue Gesetz vor – Bewohner und Mitarbeiter Impfnachweise allerdings erst bis zum Sommer 2021 erbringen müssen. Ausnahmen werden auch hier die Regel bestimmen. Denn für Menschen, die vor 1970 geboren sind, oder medizinische Kontraindikationen nachweisen können, gilt die Impfpflicht ohnehin nicht.
Schwierige Umsetzung trotz eindeutiger Gesetze
Nicht zuletzt infolge der unkontrolliert zugewanderten Flüchtlingsströme wird seit 2015 ein Wiederaufflammen der Masern in Deutschland verzeichnet. Die seitdem quer durch fast alle Parteien geforderte Wiedereinführung der Impfpflicht in Deutschland (diese gab es in der Vergangenheit in Deutschland bisher nur vorübergehend und erfolgreich gegen Pocken) hat dabei eine Rechtsgrundlage, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt.
So heißt es in § 20 Abs. 7 des seit 2001 gültigen Infektionsschutzgesetzes: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen (…) teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“ Angesichts sprunghaft gestiegener Masernerkrankungen in Deutschland und warnender Meldungen von UNICEF über eine weltweit dramatisch steigende Zahl von Masern-Erkrankungen hatte das Land Brandenburg im Alleingang bereits im April 2019 als erstes deutsches Bundesland eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die allerdings noch nicht rechtskräftig ist.
Überforderung der Kindestagespflege?
Das gilt auch für das nunmehr von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach auf den Weg gebrachte bundesweite Masernschutzgesetz, für das der Bundesrat jedoch noch allerhand weitreichende Änderungen verlangt. So moniert die Länderkammer in ihrer Stellungnahme vom 20. September 2019 vor allem, dass die Verantwortung für die Nachweiskontrolle über den Impfschutz vor Ort bei den Kindergärten liegen solle und nicht bei den Trägern.
Überhaupt sei es darüber hinaus problematisch, wenn das neue Gesetz die Kindertagespflege als Gemeinschaftseinrichtung definiere und damit von den Kitas entsprechende hygienische Standards verlange, die in der Kindertagespflege gar nicht machbar seien. Der Bundesrat fürchtet deshalb, dass es dadurch zu Schließungen von Kindertagespflegestätten kommen kann. Zudem sei es problematisch, Personen ohne Impfnachweis die Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen zu verwehren, weil das u. a. vor allem die Chancengleichheit beim Zugang zu Bildungseinrichtungen konterkariere.
Verletzt das Pieksen die Persönlichkeitsrechte?
Die Frage, inwieweit eine verbindliche Masernimpfpflicht einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Individuums darstellt, dürfte zudem Zündstoff für Diskussionen und Gerichtsverfahren bieten. Denn: Darf der Staat Eltern und ihren Kindern am Ende den Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen (und damit die Chancengleichheit) überhaupt verwehren? Reicht der Hinweis aufs Gemeinwohl aus, um deren im Grundgesetz verbuchten Rechte auszuhebeln?
Die Zahl der homöopathisch und „ganzheitlich“ orientierten Menschen, die im „Impfzwang“ in erster Linie ein Geschäftsmodell der Pharmaindustrie sehen, das auf Kosten ihrer Gesundheit nur dazu dient, Profite zu generieren, nimmt auch und vor allem unter dem Eindruck diverser Verschwörungstheorien zu. Schon jetzt gibt es kaum ein Thema, das die Temperatur einer eben noch harmlosen Plauderei binnen weniger Minuten so schnell auf den Siedepunkt treiben lässt wie das Thema Impfen. Freundschaften zerbrechen darüber, und Mütter und Väter prozessieren gegeneinander bis zum Bundesgerichtshof.
Gemeinwohl geht vor individueller Freiheit
Denn gerade der Erfolg der Schulmedizin und der bis in die 1970er Jahre geltenden Impfpflicht für Pocken haben in Deutschland zu der weit verbreiteten Annahme geführt, man selbst und die eigenen Kinder seien von Infektionen nicht mehr bedroht. Zudem stehen Impfungen vor allem im ganzheitlich und alternativmedizinisch orientierten Milieu zunehmend unter Verdacht, durch die damit einhergehende Manipulation des Immunsystems maßgeblich für die Zunahme von Allergien und Autoimmunerkrankungen verantwortlich zu sein.
Solche Argumente lässt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) allerdings nicht gelten: „Die Gesundheit und der Schutz der gesamten Bevölkerung setzen hier der individuellen Freiheit Grenzen. Es geht nicht nur um die Verantwortung jedes Einzelnen für sich und seine Kinder, sondern auch um die Verantwortung für andere.“ Je mehr Menschen gegen Masern geimpft seien, desto geringer das Risiko für alle, verteidigt sie das neue Masernschutzgesetz der Bundesregierung.