„Bei der Musterfeststellungsklage kaufen die Leute die Katze im Sack“, sagte die Münchener OLG-Richterin und Professorin Dr. Beate Gsell bei ihrem Vortrag zum kollektiven Rechtsschutz im Essener Landgericht. Eingeladen hatte die Juristische Gesellschaft Ruhr e.V., die bei ihren Veranstaltungen gerne aktuelle juristische Themen aufgreift.
Vor über einhundert interessierten Zuhörern erläuterte die Rechtswissenschaftlerin den, ihrer Meinung nach, „großen Pferdefuß“ an dem Modell. „Die Teilnehmer der Musterfeststellungsklage sind an den Ausgang des Musterverfahrens gebunden“. Für Gsell ist es eine noch offene Frage, ob dies mit dem „Recht auf rechtliches Gehör“ zu vereinbaren ist. Das hätten andere Länder besser gelöst, meint die OLG-Richterin. Besser sei es zum Beispiel, wenn der klagende Verband das Musterverfahren zuerst führt und sich die Verbraucher erst nach dem Ausgang des Verfahrens registrieren können.
Kollektiver Rechtsschutz ist Verbraucherschutz
In einem wirtschaftlichen Umfeld, in dem „Big Player“ die Märkte immer mehr dominieren, kommt dem kollektiven Rechtschutz eine immer wichtigere Rolle zu. Der einzelne Verbraucher kann sich mit Einzelklagen gegen diese großen, internationalen Unternehmen juristisch kaum noch durchsetzen. Deshalb war beim Juristentag 2018 in Leipzig eine der heiß diskutierten Fragen: „Bedarf es neuer Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess?“
Die Experten diskutierten über Sammel-, Gruppen- und Verbandsklagen. Leiterin der zuständigen Arbeitsgruppe „Verfahrensrecht“ war die Münchener Professorin und OLG-Richterin Dr. Beate Gsell.
Massenschäden und Streuschäden
Beim kollektiven Rechtsschutz geht es um „Massenschäden“. Dabei handelt es sich um unlautere Geschäftspraktiken oder Großschäden bei denen viele Verbraucher auf gleichartige Weise geschädigt werden, zum Beispiel ein Flugzeugabsturz.
Die zweite Erscheinungsform sind die „Streuschäden“. Dabei handelt es sich um kleine Beträge, die aber in der Summe gewaltig sein können. Beispiele sind zu geringe Füllmengen in Packungen, oder kleine Rechnungsbeträge ohne jede Rechtsgrundlage. Auch an dieser Stelle sieht Gsell Verbesserungsbedarf. Neben einer Entschädigung ist für sie auch ein Vorgehen gegen die massenhaften Rechtsverstöße wichtig.
Musterfeststellungsklage stoppt Verjährungsfrist
Die bisherige Musterfeststellungklage ist für Gsell unzureichend. Eine ihrer Hauptschwächen ist für die erfahrene OLG-Richterin die Tatsache, daß nur eine „Festellung der Voraussetzungen von Schadensersatzansprüchen“ erfolgt. Der Geschädigte muß nach der erfolgreichen Musterfeststellungsklage seinen eigenen Anspruch mit einer zivilrechtlichen Klage durchsetzen. Dabei geht es dann um die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes.
Kollektivvergleich: Wunsch und Wirklichkeit
Es gibt aber eine mögliche Ausnahme. Das Gesetz zur Musterfeststellungsklage sieht auch einen „Kollektivvergleich“ vor. Dieser muß aber gerichtlich genehmigt werden. Dabei muß der klagende Verband sich mit dem beklagten Unternehmen in einem „Kollektivvergleich“ über die Schadensersatzzahlung für die geschädigten Verbraucher einigen. Diese Vereinbarung verpflichtet das Unternehmen dann zur Zahlung der Entschädigung und erspart dem Gericht viele Zivilverfahren. Jedoch den beklagten Unternehmen fehlt bisher der Anreiz für den Abschluss eines solchen „Kollektivvergleichs“.
Trotz aller Mängel ist für Gsell eine Musterfeststellungsklage sinnvoll, da diese zumindest die Verjährungsfrist stoppt und die Ansprüche wahrt.