Mit einer Sachverständigen-Anhörung bereitete sich der nordrhein-westfälische Landtag am Montag (6.4.) auf die Verabschiedung des neuen Epidemiegesetzes für NRW vor. Jetzt wird bis nächsten Donnerstag in den Ausschüssen über Änderungen am vorliegen Regierungsentwurf gestritten.
„Das geltende Recht passt nicht zu der aktuellen Pandemie“, sagte Dr. Martin Klein vom Landkreistag NRW bei der Sachverständigenanhörung im Düsseldorfer Landtag. Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.
Das Epidemiegesetz NRW ist ein sogenanntes „Artikelgesetz“. Neben seiner eigentlichen Bestimmung (Pandemiebekämpfung) werden gleichzeitig kommunalrechtliche Vorschriften, Schul-, Hochschul- und Kunsthochschulgesetze, E-Government-Gesetz, Landesbauordnung, Landespersonalvertretungsgesetz, Landesrichter- und Staatsanwältegesetz, Teilhabe-/ Integrationsgesetz, Vermessungs-/ Katastergesetz, Landwirtschaftskammergesetz und Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz geändert.
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Zunächst wollte die aus CDU und FDP bestehende NRW-Landesregierung das Epidemiegesetz im Eilverfahren vom Landtag genehmigen lassen. Doch nach Protesten der Opposition und Einwänden führender Verfassungsrechtler, kam es doch noch zu der „Expressausgabe“ eines geordneten Gesetzgebungsverfahrens. Insgesamt 24 schriftliche Stellungnahmen erreichten die Abgeordneten des Düsseldorfer Landtages. Sechs Stunden mündliche Anhörung sollten für Klarheit sorgen.
Gesetzgebungsverfahren mit Vorbildfunktion
Für Professor Dr. Hinnerk Wißmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist das aktuelle NRW-Gesetzgebungsverfahren ein parlamentarisches Vorbild für den Bund und andere Bundesländer.
Wißmann plädierte für eine Befristung des Gesetzes. „Eilig und Dauer geht nicht,“ weiß der erfahrene Jurist. Auch einer Dienstverpflichtung für medizinisches Personal steht er kritisch gegenüber. Für ihn sind „freiwillige Lösungen“ besser geeignet. Außerdem hält er eine im Gesetz verankerte Frist, nach deren Ablauf das Gesetz auf seine Wirksamkeit hin überprüft wird, für wichtig.
Für den Berliner Staatsrechtler Dr. Ulrich Vosgerau handelt es sich bei Corona um einen „medizinischen Notstand und keinen parlamentarischen Notstand“. Er vertritt die Auffassung, Rechtsverordnungen und Rechtsanordnungen müssen vom Landtag genehmigt werden, sie dürfen „nicht außerhalb der Kontrolle des Landtages stattfinden“.
Demokratische Legitimation
Schwierig gestaltet sich für die Experten auch die Abstimmung zwischen Bundes- und Landesrecht. Das Land darf nur da Regelungen vornehmen, wo diese nicht mit Bundesrecht „kollidieren“. So monierte Professorin Dr. Charlotte Kreuter-Kirchhof von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf die mangelnde Genauigkeit im Infektionsschutzgesetz des Bundes. Es sei nicht genau bestimmt, was eine „epidemische Lage“ ist. Für die Rechtswissenschaftlerin ist klar, das Land muß auf unbekannte Entwicklungen reagieren, dabei aber immer die demokratische Legitimation im Auge behalten.
Medizinische Entscheidungshoheit
Rudolf Henke, der Präsident der Ärztekammer Nordrhein brachte einen wichtigen Punkt zur Sprache, indem er auf die ärztliche Berufsordnung verwies. Dort heißt es: „Keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen.“ Zum ärztlichen Inhalt kann es keine Weisungsbefugnis geben, sagte Henke. Für ihn als Mediziner ist kein Menschleben mehr wert als das andere. Entscheidend sei die individuelle Betrachtung, welcher Resourceneinsatz verspricht die größtmögliche Hilfe. Verwaltungsrechtliche Regelungen kämen immer zu spät.
Für Anja Weber, die Vorsitzende des DGB-Bezirks Nordrhein-Westfalen, ist die vorliegende Version des Epidemiegesetz ein Zeichen für „Mißtrauen gegen die Einsatzbereitschaft im Gesundheitssystem“. Weber wies auf die oft fehlende Schutzausrüstung hin und sagte unmißverständlich: „Das geht gar nicht!“ Sie setzt auf Freiwilligkeit und fordert eine Freistellung der Helfer beim Arbeitgeber.
Gemeinden in Corona-Finanznot
Stefan Hahn vom Deutschen Städtetag beschrieb die vielen offenen Finanzierungsfragen in der Corona-Krise, die dringend einer Regelung bedürfen. Allein zwei Milliarden Euro veranschlagen die deutschen Kommunen für SGB II-Leistungen (Hartz IV). Darin sind Pflegeheimkosten und die Kosten für mögliche Behelfskrankenhäuser noch gar nicht enthalten. „Bisher ist nichts geregelt,“ sagte Hahn und mahnte eine Gegenfinanzierung durch Bund und Länder an. Für Hahn hat sich durch Corona die bestehende Altschuldenproblematik „deutlich verstärkt“.
Der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages NRW, Dr. Martin Klein, wird noch deutlicher: „Je länger die Pandemie dauert, desto mehr steigen die Kosten.“ Für ihn sind die Einnahmeausfälle zum Beispiel durch fehlende Gewerbesteuer, noch gar nicht abschätzbar. Das Land habe bereits Unterstützung signalisiert, so Klein. Der Kommunalvertreter ergänzte: „Letztlich brauchen wir nicht nur Kredite, sondern Geld.“
Nächsten Donnerstag soll das überarbeitete Epidemiegesetz für Nordrhrein-Westfalen vom Landtag in Düsseldorf verabschiedet werden. Die entscheidende Sitzung kann per Livestream im Internet verfolgt werden.
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Quelle: Landtag NRW