Der Entwurf des neuen nordrhein-westfälischen Epidemiegesetzes stößt auf heftige Kritik bei den Rechtsexperten. Einer der namhaftesten juristischen Kritiker ist der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts für NRW, Michael Bertrams.
Nach Meinung des Verfassungsrechtlers fehlt es dem Gesetzesvorhaben an der nötigen Präzision. Diese ist aber unabdingbar, um einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht standzuhalten. Dem Kölner Stadtanzeiger sagte Bertrams: Für „eine solche Beschneidung von Grundrechten, zu denen auch die Freiheit der Berufsausübung gehört, braucht es ein Höchstmaß an inhaltlicher Bestimmtheit der Voraussetzungen, unter denen ein solcher Grundrechtseingriff möglich sein soll“.
Auch bei den Zuständigkeiten fehlt dem erfahrenen Juristen die Präzision. Dazu sagte er: „Wie die Einschätzung einer lediglich landesweiten epidemischen Lage zustande kommen soll, lässt sich dem Entwurf nicht entnehmen. Und auch das ist ein nicht akzeptables Schweigen des Regierungsentwurfs.“
Rechtsexperte : Eingriff in Grundrechte
Auch der bekannte Rechtswissenschaftler Christoph Degenhart hat erhebliche Bedenken gegen das geplante Epidemiegesetz in NRW. „Ich halte den Gesetzentwurf in der jetzigen Form in einigen Punkten für verfassungswidrig. Eine Reihe der geplanten Bestimmungen greift zu weit in Grundrechte ein und ist zu unbestimmt“, so der Staatsrechtler gegenüber der Rheinischen Post. Der Gesetzentwurf sei insgesamt überzogen: „Er beinhaltet ein viel zu weitreichendes Ermessen und erinnert damit an die Notstandsgesetzgebung für den Spannungs- oder den Verteidigungsfall“, kritisierte der emeritierte Rechtsprofessor.
Zwangsverflichtungen verfassungswidrig
Insbesondere die Anweisungen für den Dienst in Krankenhäusern stufte Degenhart als verfassungswidrig ein: „Bei der Dienstverpflichtung ist der Adressatenkreis zu weit gefasst: die Verpflichtungen gehen deutlich über die herkömmlichen Verpflichtungen zu Notfalldiensten und ähnlichem hinaus.“
Eingriff in Parlamentsrechte
Degenhart sieht zugleich das Parlament in seinen Rechten geschwächt: „Die Landesregierung will sich ermächtigen, bestimmte Gesetze wie etwa das Schul- oder Hochschulgesetz zum Teil außer Kraft zu setzen und durch Rechtsverordnungen zu ersetzen. Damit wird das Parlament in verfassungswidriger Weise umgangen.“
Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertram, empfiehlt der Landesregierung dringend, den Gesetzentwurf in den Fachausschüssen in Ruhe zu beraten und vor der Verabschiedung Sachverständige anzuhören.
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Hintergrund:
Die nordrhein-westfälische Landesregierung plant ein Epidemie-Gesetz, unter anderem zum Schutz gegen weitere Corona-Infektionswellen. So sieht der bisherige Entwurf unter anderem die Zwangsverpflichtungen von Ärzten bei Notfällen vor. Rechtswissenschaftler und Opposition hatten massive Bedenken geäußert. Anders als von der Landesregierung ursprünglich geplant, soll deshalb auf das geplante Eilverfahren für die Verabschiedung im Landtag verzichtet werden.
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Quelle: dts-Nachrichtenagentur