Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die meisten Corona-Beschränkungen im Einzelhandel vorläufig außer Vollzug gesetzt. Diese seien mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar teilte das Gericht am Montag (22.3.) in Münster mit.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hat die Landesregierung ihren gesetzlichen Spielraum überschritten. Aus diesem Grund gelten im NRW-Einzelhandel ab sofort keine Kundenbegrenzung pro Quadratmeter mehr. Auch eine Terminbuchung ist nicht mehr erforderlich. Jedoch die Freude der Kunden darüber könnte von kurzer Dauer sein. So hat der zuständige 13. Senat des OVG in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass das Land „auch kurzfristig“ eine gesetzeskonforme Neuregelung treffen könne.
Unzulässige Differenzierung
Es sei nicht nachvollziehbar, warum auch Buchhandlungen, Schreibwarenläden und Gartenmärkte mit ihrem gesamten Sortiment unter vereinfachten Bedingungen betrieben werden dürften, andere Einzelhändler aber nur eingeschränkt, stellte der zuständige 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts fest. Nach Meinung des Senats handelt es sich bei der aktuellen Regelung um eine „unzulässige Differenzierung“. Geklagt hatte eine Niederlassung des Elektronik-Fachhändlers „Media-Markt“.
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Aus der Begründung des Gerichts:
Die Beschränkungen verstießen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Bei der Pandemiebekämpfung bestehe zwar ein Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers, der sich in einer komplexen Entscheidungssituation befinde und nur mit Prognosen zu den Auswirkungen von Beschränkungen und Lockerungen arbeiten könne. Es sei auch zulässig, schrittweise zu lockern, wobei es zwangsläufig zu Ungleichbehandlungen verschiedener Bereiche komme. Der Verordnungsgeber habe es deshalb grundsätzlich für Geschäfte wie den Lebensmitteleinzelhandel bei den bisherigen Regelungen belassen dürfen, während für andere Betriebe vorläufig nur eine reduzierte Kundenzahl zugelassen werde und eine vorherige Terminbuchung erforderlich sei.
Die schrittweise und kontrollierte Öffnung weiterer Bereiche des Handels müsse aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zwingend mit einer Verschärfung der Öffnungsbedingungen für die bereits bislang von der Schließung ausgenommenen Geschäfte einhergehen. Der Verordnungsgeber überschreite aber seinen Spielraum, wo ein einleuchtender Grund für eine weitere Differenzierung fehle. Dies sei der Fall, soweit nunmehr auch Buchhandlungen, Schreibwarenläden und Gartenmärkte mit ihrem gesamten Sortiment unter vereinfachten Bedingungen (größere Kundenzahl, ohne Terminbuchung) betrieben werden dürften.
Es erschließe sich nicht und werde durch den Verordnungsgeber auch nicht begründet, warum dessen Annahme, diese Betriebe deckten ebenfalls eine Art Grundbedarf, für sich genommen andere Öffnungsmodalitäten rechtfertigen sollte als beim übrigen Einzelhandel. Da nach der nunmehr geltenden Rechtslage sämtliche Geschäfte öffnen dürften, könne das Kriterium, ob ein Warensortiment Grundbedarf sei, eine Besserstellung nicht mehr ohne Weiteres begründen. Erforderlich wäre vielmehr, dass der angenommene Grundbedarf gerade die Differenzierung in den Öffnungsmodalitäten nahelege.
Wegen des untrennbaren Zusammenhangs der Regelungen zum Handel hat das Gericht diese insgesamt vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das bedeutet, dass ab sofort im gesamten Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen keine Kundenbegrenzung pro Quadratmeter mehr gilt und das Erfordernis der Terminbuchung entfällt. Der Senat hat allerdings darauf hingewiesen, dass es dem Land unbenommen ist, auch kurzfristig eine Neuregelung zu treffen, die keine unzulässigen Differenzierungen enthält. Die durch den Media-Markt geltend gemachten grundlegenden Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen für den Einzelhandel teilte der Senat nicht. Insbesondere sei die Beschränkung der Grundrechte der Einzelhändler angesichts der gravierenden Folgen, die ein erneuter unkontrollierter Anstieg der Neuansteckungen für Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen hätte, voraussichtlich gerechtfertigt.
Aktenzeichen: 13 B 252/21.NE
Der Beschluss ist unanfechtbar.
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dts, PM OVG Münster vom 23.3.2021