Bei einem Werkstattgespräch am Montag mit über 100 fachkundigen Besuchern im Oberhausener LVR-Industriemuseum suchte die NRW-SPD nach neuen Wegen, um überschuldeten Bürgern bei ihrem Weg aus der Schuldenfalle zu helfen.
Die Bestandsaufnahme durch André Stinka, dem Sprecher im nordrhein-westfälischen Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz fiel düster aus. Bundesweit ist jeder 10. Einwohner überschuldet. Im Ruhrgebiet liegen die Zahlen noch wesentlich höher. Für Stinka geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.
Die „Thematik ist keine beliebte,“ sagt die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesjustizministerium (BMJV) ,Rita Hagl-Kehl (SPD). In ihrem Vortrag stellte sie den aktuellen Regelungsrahmen dar und wies darauf hin, daß ihr Ministerium nicht die alleinige Hoheit in dieser Frage hätte. Federführend sei das Sozialministerium und auch das Finanzminsterium habe ein gewichtiges Wort mitzusprechen.
Problem Restschuldversicherung
Die SPD-Politikerin wies auf die bisherigen Erfolge hin. So seien Banken inzwischen verpflichtet, bei einer längerfristigen Überziehung des Dispo-Kredits von 75 % den Kontoinhaber zu warnen und auf Schuldnerberatungsstellen hinzuweisen. Als nächsten Schritt plant das BMJV das Problem der Provisionen bei Restschuldversicherungen anzugehen. Deren Höhe beträgt nicht selten 80 Prozent der Versicherungssumme. Für die SPD-Staatssekretärin ist das „fast schon unlauterer Wettbewerb“. Das Justizministerium, das auch für den Verbraucherschutz zuständig ist, will diese Provisionen zukünftig deckeln.
„Wind of Change“ aus Brüssel
Für die CDU-geführte Landesregierung könnte bald der Ausspruch von Michael Gorbatschow greifen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Der Grund: Die NRW-Landesregierung sieht bisher keine Notwendigkeit für eine Reform der Schuldnerberatung.
Brüssel sieht das ganz anders. Dort ist eine europäische Richtlinie in Vorbereitung, nach der zukünftig generell eine Entschuldung nach drei Jahren möglich sein soll. Das geht schon heute, aber die Voraussetzungen dafür konnten kaum zwei Prozent der Schuldner erfüllen. Wer 35 Prozent der Schuldsumme plus die Verfahrenskosten nicht aufbringen kann, der muss auf die sechsjährige Durststrecke. Hagl-Kehl ist optimistisch, daß zukünftig die Mindestquote wegfällt und die Einkommens- und Vermögenssituation der Schuldner berücksichtigt wird.
Parteiübergreifender Sparzwang
Schuldnerberatung ist keine billige Angelegenheit. Das hat ausgerechnet das wirtschaftlich starke Bayern erkannt und seine Schuldnerberatung parteiübergreifend neu geordnet. Dort ist jetzt die Schuldner- und Insolvenzberatung einheitlich in kommunaler Hand. Die Finanzierung übernimmt das Land Bayern. Die Vorteile dieses Systems präsentierte in Oberhausen Christian Maltry von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Landratsamts Main-Spessart. Für ihn ist es „ein mutiger Schritt“. Maltry sieht den Zusammenschluß der beiden Beratungsbereiche positiv: „Insolvenzberatung macht nur Sinn zusammen mit einer Schuldnerberatung“. Diese sei für die psychosoziale Betreuung unverzichtbar.
Finnische Lösung: Geld vom Glücksspiel
Auch Rita Hornung, Vorstandsmitglied der LAG Schuldnerberatung NRW e.V., betont in ihrem Beitrag, angesichts der steigenden Fallzahlen, das Sparpotential: „Mit einem Euro bei der Präventivberatung kann man zwei Euro bei der Insolvenzberatung einsparen. Die Bayern haben sogar eine Ersparnis von 5,60 Euro errechnet.“
Die Schuldnerberaterin fordert individuelle Lösungen, statt der „moralischen Keule“. In ihrem Vortrag weist sie auf ausländische Lösungsmodelle hin. So beteiligt sich in Großbritanien die Finanzindustrie mit einem Fond „Faire share“ an der Kostendeckung für Schuldnerberatung. Innovativ ist das finnische Lösungsmodell, bei dem mit Glücksspiel-Einnahmen ein „Entschuldungsfond für alle“ finanziert wird.
Wohlfahrtsverband bleibt realistisch
Alexander Elbers, Fachreferent Schuldnerberatung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW bleibt realistisch. Er fordert von der Landesregierung vorrangig einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung. Außerdem weist er in seinem Redebeitrag auf die unterschiedlichen finanziellen Gegebenheiten bei der Schuldnerberatung in Nordrhein-Westfalen hin. Hier besteht für ihn erheblicher Verbesserungsbedarf.