Vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster musste der Onlinegigant diese Woche eine Niederlage einstecken. Für die heiße Phase des Weihnachtsgeschäfts hatte ein Logistikdienstleister der Amazon-Unternehmensgruppe Sonntagsarbeit für den 3. und 4. Advent beantragt. Dagegen hatte die Gewerkschaft ver.di geklagt und Recht bekommen.
Die von der Bezirksregierung Düsseldorf erteilte Ausnahmebewilligung zur Beschäftigung von jeweils 800 Arbeitnehmern an den letzten beiden Adventssonntagen im Dezember 2015 war rechtswidrig. Auch das sehr hohe Bestellvolumen vor Weihnachten rechtfertige keine Ausnahme entschieden die Richter, zumal aus einer Prognose für 2015 bekannt war, dass sich diese Lieferengpässe nicht ohne Sonntagsarbeit würden auffangen lassen.
Nach Meinung des OVG in Münster ist eine Ausnahme nur möglich, wenn durch äußere Einflüsse ein unverhältnismäßig hoher Schaden droht. Mit dem Eintritt eines unverhältnismäßigen Schadens ohne Sonntagsarbeit hatte Amazon argumentiert. Ohne die Sonntagsarbeit könne das Unternehmen die Waren nicht zu den zugesagten Terminen ausliefern.
Das Gericht erkannte in der Vorgehensweise von Amazon eine Ursache des Problems. Kurz vor der Adventszeit 2015 hatte das Unternehmen neben der Express-Lieferung auch noch eine Belieferung am Tag der Bestellung („Same Day“) eingeführt. Dadurch habe Amazon „absehbar dazu beigetragen, dass sich die Lieferengpässe noch verstärkten“.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung seiner Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
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Aus der Entscheidung des Gerichts
Unter „besonderen Verhältnissen“ seien nur solche Umstände zu verstehen, die von außen verursacht worden seien und auf die das antragstellende Unternehmen keinen Einfluss nehmen könne. Die Sondersituation durch erhöhtes Auftragsvolumen habe nach den eigenen Angaben des beigeladenen Unternehmens zumindest auch maßgeblich auf dem Geschäftsmodell des die Webseite betreibenden Unternehmens beruht, dessen Handeln sich der beigeladene Logistikdienstleister zurechnen lassen müsse. Nach diesem Geschäftsmodell seien den Kunden kürzeste Lieferfristen selbst in der Vorweihnachtszeit zugesagt worden.
Zwar habe das Logistikunternehmen sein Personal für das Weihnachtsgeschäft 2015 vorübergehend deutlich aufgestockt. Es sei aber nicht ersichtlich, dass auf der Amazon-Webseite darauf hingewiesen worden sei, nur bei möglichst frühzeitiger Bestellung könne eine Lieferung vor Weihnachten garantiert werden, obwohl sich dies angesichts der prognostizierten Lieferengpässe aufgedrängt hätte. Das Logistikunternehmen und der Webseitenbetreiber hätten somit nicht die bei dieser Sachlage gebotenen und auch zumutbaren Maßnahmen getroffen, um Kunden zu einem frühzeitigen Bestellverhalten anzuhalten und hierdurch auf eine gleichmäßigere Verteilung des Auftragsvolumens hinzuwirken. Stattdessen sei kurz vor der Adventszeit 2015 neben den bestehenden Express-Lieferungen eine Belieferung noch am Tag der Bestellung („Same Day“) eingeführt worden. Dadurch habe der Webseitenbetreiber absehbar dazu beigetragen, dass sich die Lieferengpässe noch verstärkten. Dies geschah, obwohl aus Vorjahren und aus einer Prognose für 2015 bekannt war, dass sich diese Lieferengpässe nicht ohne Sonntagsarbeit würden auffangen lassen.
Auf die Verletzung der einschlägigen, dem Sonntagsschutz dienenden Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes könne sich die klagende Gewerkschaft ver.di berufen. Denn die Bestimmungen seien auch zu Gunsten einer in ihrem Tätigkeitsbereich betroffenen Gewerkschaft drittschützend, weil der Gesetzgeber mit diesen Regelungen seinem auch im Interesse der Gewerkschaften bestehenden verfassungsrechtlichen Schutzauftrag nachgekommen sei. Die Gewerkschaft ver.di werde durch die angegriffene Bewilligung mehr als geringfügig in ihren Interessen beeinträchtigt. Durch die hohe Zahl der betroffenen Mitarbeiter in Rheinberg sowie auf Grund der nach den Antragsangaben der Beigeladenen erfolgten Beantragung von entsprechenden Ausnahmebewilligungen für die anderen deutschen Standorte der Amazon-Unternehmensgruppe könne es zu Beeinträchtigungen des gesamtgewerkschaftlichen Handelns von ver.di kommen.
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Az.: 4 A 738/18 (I. Instanz: VG Düsseldorf – 29 K 8347/15)
Quelle: PM OVG NRW vom 12.12.2019