Der Streit um die Rechte von Corona-Geimpften treibt seltsame Blüten. So sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei Bild: „Nach allem, was er „juristisch nachvollziehen“ könne, sei die geöffnete Pizzeria für Geimpfte „das, was möglich ist“.
Spahn hält einen Zugang zu Gaststätten, Pizzerien oder bei Konzerten nur für Corona-Geimpfte für möglich. „Ich finde schon, dass da ein Unterschied ist zwischen dem staatlichen Handeln oder eben öffentlicher Daseins-Vorsorge: U-Bahn, S-Bahn, wie verhalten sich da alle Beteiligten? Oder ob jemand eben sagt – auch im privat-gewerblichen -, er möchte eben nur für Immune öffnen oder nicht“.
Spahn selbst zwiegespalten
Bei einer möglichen Aufhebung von Corona-Beschränkungen für Geimpfte sei er selbst hin- und hergerissen, so der Gesundheitsminister gegenüber der Zeitung. Schwierig ist aus seiner Sicht, wenn im öffentlichen Raum, beim Tragen von Masken und dem Einhalten der Abstandsregeln „die einen anders handeln dürfen als die anderen“.
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Anti-Sonderrechte-Gesetz ?
Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Klaus Müller, ist anderer Meinung. Er fordert gegenüber der Funke Mediengruppe ein Anti-Sonderrechte-Gesetz: „Da die Vertragsfreiheit und das Hausrecht für Restaurants, Fitnessstudios, die Bahn oder Pflegeheime nicht durch Appelle von den Ministern Spahn und Seehofer gegen einen zu Recht geforderten Diskriminierungsschutz abgewogen werden können, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion und ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz.“
Ethikrat-Vorsitzende gegen Sonderrechte
Auch die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, hält von Sonderrechten für Geimpfte „gar nichts“. Die Ärztin, die als Professorin an der TU München Medizinethik und Gesundheitstechnologien lehrt, sagte dem Tagesspiegel: „In einer Phase, in der wir alle für bestimmte Gruppen mit besonderen Risiken solidarisch zurückstehen, wäre es sehr unausgewogen, wenn diese Gruppen sich dann öffentlich die Maske vom Gesicht ziehen.“ Außerdem sei noch nicht sicher belegt, dass Geimpfte wirklich niemanden anstecken können.
Verfassungsrechts-Experten warnen
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier äußerte sich bei Bild zu der Streitfrage: „Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassungsrechtlich keine Legitimation mehr, die Betroffenen in ihren Grundrechten weiter zu beschränken“. Er habe „verfassungsrechtliche Bedenken, wenn der Staat Privaten vorschreibt, welche Privilegien sie gewähren dürfen – solange diese nicht zur Verschärfung des Infektionsgeschehens führen“.
Rechtfertigung für Bevormundung
Auch der Staatsrechtler Rupert Scholz warnt: „Wer jetzt sogar per Gesetz angebliche Sonderrechte oder Privilegien für Corona-Geimpfte verhindern will und sich dabei auf die Solidarität mit Noch-nicht-Geimpften beruft, verdreht die Tatsachen. In Wahrheit geht es nicht um Solidarität, sondern um die Frage, ob Bürger, die nachweislich nicht mehr ansteckend sind, weiter bevormundet werden sollen.“
Und auf Twitter fragt der ehemalige Verfassungsrichter und langjährige Präsident des Bundesfinanzhofes, Rudolf Mellinghoff: „Ist die Frage richtig gestellt? Muss man nicht fragen, ob es gerechtfertigt ist, diejenigen, von denen keine Gefahr ausgeht, weiter in ihren Grundrechten einzuschränken? Geht es hier um Sonderrechte?“
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Quelle: dts-Material, twitter