Die deutsche Vignette für die Benutzung von Bundesfernstraßen durch Personenkraftwagen verstößt gegen das Unionsrecht, urteilte der europäische Gerichtshof am Dienstag (18.6.) in Luxemburg.
Dem Urteil vorausgegangen war ein langjähriger Streit zwischen Deutschland und der EU-Kommission, Österreich und den Niederlanden. Diese waren der Auffassung die deutschen Mautpläne würden gegen EU-Recht verstoßen und die anderen EU-Bürger benachteiligen. Nach einer Nachbesserung der rechtlichen Regelungen zog die EU-Kommission ihre Bedenken zurück. Österreich aber erhob vor dem EuGH 2017 eine Vertragsverletzungsklage.
Generalanwalt Nils Wahl sprach sich im Februar diesen Jahres für eine Abweisung der österreichischen Klage aus. Seine Begründung: die deutschen Fahrzeughalter würden einer „unverhältnismäßig hohen Besteuerung unterworfen“, wenn sie sowohl die Infrastrukturabgabe, als auch die Kraftfahrzeugsteuer bezahlen müßten.
Da die Richter am EuGH in der Regel den Empfehlungen des Generalanwalts folgen, waren die Erfolgsaussichten Österreichs in dem Vertragsverletzungsverfahren mit dieser Stellungnahme äußerst gering geworden. Aber, keine Regel ohne Ausnahme. Die Entscheidung zur deutschen Autobahnmaut entpuppte sich jetzt als so eine Ausnahme.
In seinem Urteil stellt der europäische Gerichtshof fest, dass die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt und gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs verstößt.
Aus der Begründung des Gerichts:
Hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit stellt der Gerichtshof fest, dass die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bewirkt, dass die von diesen entrichtete Infrastrukturabgabe vollständig kompensiert wird, so dass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt.
Zwar steht es den Mitgliedstaaten frei, das System zur Finanzierung ihrer Straßeninfrastruktur zu ändern, indem sie ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzen, damit alle Nutzer in gerechter und verhältnismäßiger Weise zu dieser Finanzierung beitragen. Jedoch ist bei einer solchen Änderung das Unionsrecht, namentlich das Diskriminierungsverbot, zu beachten.
Im vorliegenden Fall kann Deutschland insbesondere nicht gefolgt werden, wenn es vorträgt, die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der in diesem Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeuge spiegle den Übergang zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur durch alle Nutzer nach dem „Benutzerprinzip“ und dem „Verursacherprinzip“ wider.
Da Deutschland keine näheren Angaben zum Umfang des Beitrags der Steuer zur Finanzierung der Infrastrukturen des Bundes gemacht hat, hat es nämlich in keiner Weise dargetan, dass der den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gewährte Ausgleich in Form einer Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der Infrastrukturabgabe, die sie entrichten mussten, entspricht, diesen Beitrag nicht übersteigt und somit angemessen ist.
Zudem wird die Infrastrukturabgabe, was die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen anbelangt, jährlich und ohne die Möglichkeit geschuldet, eine Vignette für einen kürzeren Zeitraum zu wählen, wenn eine solche der Häufigkeit, mit der sie diese Straßen nutzen, besser entspräche.
Diese Gesichtspunkte in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der entrichteten Infrastrukturabgabe entspricht, zeigen, dass der Übergang zu einem Finanzierungssystem, das auf das „Benutzerprinzip“ und das „Verursacherprinzip“ gestützt ist, in Wirklichkeit ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betrifft, während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip gilt. Im Übrigen hat Deutschland nicht dargetan, wie die festgestellte Diskriminierung durch Umwelterwägungen oder sonstige Erwägungen gerechtfertigt werden könnte.
Hinsichtlich des freien Warenverkehrs stellt der Gerichtshof fest, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Die Infrastrukturabgabe, der tatsächlich ausschließlich die Fahrzeuge unterliegen, die diese Erzeugnisse befördern, ist nämlich geeignet, die Transportkosten und damit auch die Preise dieser Erzeugnisse zu erhöhen, und beeinträchtigt damit deren Wettbewerbsfähigkeit.
Hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs stellt der Gerichtshof fest, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern. Die Infrastrukturabgabe kann nämlich aufgrund der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer entweder die Kosten der Dienstleistungen erhöhen, die von diesen Dienstleistern in Deutschland erbracht werden, oder die Kosten erhöhen, die sich für diese Dienstleistungsempfänger daraus ergeben, dass sie sich in diesen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.
Hingegen entscheidet der Gerichtshof, dass die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe entgegen dem Vorbringen Österreichs nicht diskriminierend sind. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.
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Quelle: PM EuGH vom 18.6.2019 Az.: C-591/17