In seiner Eröffnungsansprache zum 56. Deutschen Verkehrsgerichtstag, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, hat der scheidende Präsident Kay Nehm zum Start der Veranstaltung die aktuelle Verkehrs- und Verkehrsrechtssituation kritisch hinterfragt.
Mehr als 1.800 Teilnehmer haben sich in Goslar eingefunden, um in acht Arbeitskreisen die anstehenden Fragen des zukünftigen Straßenverkehrsrechts zu diskutieren.
Was in Amerika Thinktank genannt wird, heißt in Deutschland schlicht Verkehrsgerichtstag. Einmal im Jahr treffen sich in Goslar die führenden Verkehrsrechtsjuristen, Versicherungs- und Technikexperten, um über Zukunftsentwicklungen zu sprechen. Das Ergebnis ihrer Diskussionen prägt zukünftige Gesetzesentwicklungen im Verkehrsrecht maßgeblich.
Zu den Themen des 56. Verkehrsgerichtstages gehören neben dem aktuellen Thema des automatisierten Fahrens, auch Unfallflucht, Sanktionen bei Verkehrsverstößen, der Cannabiskonsum und privates Inkasso nach Verkehrsverstößen im Ausland. Neu ist auch ein Arbeitskreis, der die Probleme Schwerverletzter behandelt.
Begriff des Fahrzeugführers hat erhebliche Konsequenzen
In seiner Eröffnungsansprache weist Präsident Kay Nehm auf zwei wesentliche Themen hin. Zum einen die Zukunft des autonomen Fahrens und zum anderen die emissionsfreie automobile Zukunft. Er weist in diesem Zusammenhang auf die letztjährigen Ergebnisse der Ethikkommission hin, die ethische „Leitplanken“ für die Zukunft des autonomen Fahrens entwickelt hat. Für ihn sind die dort formulierten Regeln „Meilensteine auf dem Weg zum autonomen Fahren“. Gemahnt wird dort aber auch, die Autonomie des Menschen im Blick zu behalten.
Der Bericht wurde zeitgleich mit dem neuen Straßenverkehrsgesetz veröffentlicht. Aus „Angst vor der eigenen Courage“, so der Präsident des Verkehrsgerichtstages, haben es die Bundesregierung und der Gesetzgeber versäumt, beim Begriff des automatisierten Fahrens auf den Begriff des Fahrzeugführers zu verzichten. Das hat nach seiner Meinung erhebliche rechtliche Konsequenzen und er fragt: „Nach herkömmlicher Definition ist Fahrzeugführer, wer das Fahrzeug in eigener Verantwortung lenkt. Bleibt ein Fahrzeugführer der den automatischen Modus gewählt hat, auch dann Fahrzeugführer wenn er das Steuer mit Billigung des Gesetzgebers aus der Hand gibt?“
Ein automatisiertes Fahren, welches über eine Lenkhilfe hinausreicht, verlagert für Nehm zwangsläufig die Verantwortung vom Fahrer auf die Technik. Bei der jetzigen Gesetzeslage wird der Nutzer der Automatisierung als Versuchskaninchen mißbraucht, kritisiert er.
Elektroantrieb ist nicht die Lösung aller Probleme
Während das autonome und vernetzte Fahren für den Präsidenten des Verkehrsgerichtstages in greifbare Nähe gerückt ist, sieht er das beim emissionsfreien Fahren nicht. Hier kritisiert er in seiner Eröffnungsansprache die von der Politik ausgerufene mögliche Verpflichtung zur Elektromobilität ab 2030.
Er erinnert an die Rolle des Diesels als Heilsbringer, der den Co2-Ausstoß der Benziner verringern sollte. Steuerbegünstigung und attraktive Verbrauchswerte förderten dagegen die Entwicklung überdimensionierter Diesel-PKW. Diese SUV’s haben sich durchgesetzt und sind „in“, äußert Kay Nehm in seiner Ansprache nachdenklich.
Die Abschaltautomatik spiegelt einen normgerechten Ausstoß von Schadstoffen vor. Als der Betrug offenkundig wurde, waren die Konsequenzen erheblich. Die Dieseltechnologie geriet in Verruf. Statt sie weiterzuentwickeln und zu verbessern wurde der Diesel verteufelt und der Elektroantrieb als alleinseligmachend gepriesen, so Kay Nehm. Für ihn ist klar: „Wer die Zukunft des Automobils an Wunschvorstellungen ausrichtet, mag sich damit begnügen, den Schadstoffausstoß von Motoren zu vergleichen. Die reale Umweltbilanz sieht leider völlig anders aus.“
Detailgenau und wissenschaftlich exakt weist der scheidende Präsident des Verkehrsgerichtstages in seiner Rede nach, daß Elektromobilität nicht die Lösung aller Umweltprobleme ist, als die sie von der Politik angepriesen wird. Er fordert eine „ehrliche und ökologisch wirtschaftliche Bilanz“ und weist ausführlich auf die Rohstoff-Problematik hin. Auch die Folgen eines Unfalls können für Elektrofahrzeuge und deren Insassen erheblich sein. In diesem Zusammenhang weist Nehm auf die Probleme beim Löschen brennender e-Mobile hin.
Die Kunden wissen es besser
„Die Kunden wissen es besser“, sagt Kay Nehm in seiner Rede und verweist auf die Zulassungszahlen für Elektrofahrzeuge, die trotz Förderung im unteren einstelligen Prozentbereich liegen.
„Wer Wissenschaftlern mehr Vertrauen entgegenbringt als selbsternannten Umweltschützern“, so der Präsident des Verkehrsgerichtstages, „kann nicht übersehen, daß die Stromnetze einer flächendeckenden Inanspruchnahme auf absehbare Zeit nicht gewachsen sein werden.“ Die Landschaft zu „verspargeln“ ist für ihn keine Lösung, um den erforderlichen Energiebedarf zu decken.
Abschließend kommt der Präsident des Verkehrsgerichtstages hinsichtlich der Schadstoffbelastung in der städtischen Luft zu der Überzeugung: „Städtebaulich kann durch Grünanlagen, Frischluftschneisen und eine umweltbewußte Verkehrsplanung viel getan werden. Daneben können Qualität und Pünktlichkeit des öffentlichen Nahverkehrs mehr Pendler zum Umsteigen veranlassen. Norwegen mit seiner Citymaut ist für Nehm auch überlegenswert und er fragt: „Ist es nicht besser, eine nach aktueller Schadstoffbelastung gestaffelte Citymaut zu akzeptieren, als den Verkehr abzuwürgen?“ Er empfiehlt am Ende seiner Rede und am Ende seiner 20-jährigen Amtszeit: „Setzen wir nicht alles auf ein Pferd, vor allem nicht auf das Falsche.“