Unfallflucht ist ein alltägliches Phänomen im deutschen Straßenverkehr. Das reicht vom kleinen Lackschaden bis zu schwerverletzt liegengelassenen Unfallopfern. Statt Hilfe zu holen, oder den Schaden zu melden, flüchten Unfallverursacher vom Unfallort.
Beim 56. Verkehrsgerichtstag in Goslar wurde über gesetzliche Änderungen des unerlaubten „Entfernens vom Unfallort“ kontrovers diskutiert. Schon im Vorfeld des Gerichtstages hatte der ADAC eine Entkriminalisierung der Unfallflucht angeregt. Der Automobilclub hält es für möglich, auf die Strafverfolgung von Unfallflucht nach Bagatellschäden zu verzichten. Wichtiger als die Strafverfolgung sei das Interesse des Geschädigten am Ersatz des Schadens.
ADAC will Bagatellschäden entkriminalisieren
Bisherige Regelungen hätten sich in der Praxis nicht bewährt: „Aus Angst vor einer Strafe melden Unfallverursacher einen Bagatellschaden oft nicht.“ Besser sei es, das Delikt in solchen Fällen zu Entkriminalisieren. „Die damit geschaffene Rechtssicherheit dürfte Unfallverursacher im Zweifel dazu veranlassen, einen Schaden auch nachträglich zu melden“, so der ADAC. Bei Personenschäden oder schweren Fahrzeugschäden habe der Verantwortliche aber „selbstverständlich“ am Unfallort zu bleiben.
Niedersächsische Justizministerin hat Bedenken
Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) steht den Überlegungen eher skeptisch gegenüber. In ihrer Begrüßungsansprache während des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar sagte sie: „Es gibt es gute Gründe, daß Unfallverursacher am Unfallort zu bleiben haben, um Aufklärung und Personenfeststellung zu ermöglichen. Unfallrekonstruktion und Zustand des Verursachers, Stichwort Alkohol, sind für Versicherer und Geschädigte wichtige Indikatoren für eine spätere Regulierung.“
Im Detail mag man, nach Meinung von Barbara Havliza, über Modifikationen oder Präzisierungen nachdenken, aber einen dringlichen Reformbedarf sieht die niedersächsische Justizministerin nicht.
Entlastung der Justiz darf kein Argument sein
Besonders dem immer wieder von verschiedenen Seiten vorgebrachten Argument einer Entlastung der Justiz will sie nicht folgen. Für Havliza darf es, wie auch bei anderen als nicht so gravierend angesehenen Straftatbeständen, kein Argument sein, Polizei und Justiz würden durch die Verstöße gegen § 142 StGB zu sehr belastet. Die hohe Anzahl der Verstöße ist in ihren Augen kein Argument, die Geschädigten sich selbst zu überlassen. Die niedersächsische Ministerin fordert, die Vorschrift so klar zu fassen, daß jeder ganz genau weiß, wie er sich zu verhalten hat, damit er keine Unfallflucht begeht.
Arbeitskreis sieht Überforderung der Verkehrsteilnehmer
Der Arbeitskreis III, der sich beim diesjährigen Verkehrsgerichtstag mit dem Thema „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ auseinandersetze, war hochkarätig besetzt. In ihren Empfehlungen weisen die Experten auf die vorhandene Rechtsunsicherheit beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort hin. Die bestehenden straf- und versicherungsrechtlichen Regelungen überfordern ihrer Meinung nach die Verkehrsteilnehmer. Der Arbeitskreis weist ausdrücklich darauf hin, dass der § 142 StGB ausschließlich dem Schutz Unfallgeschädigter und deren Schadensersatzansprüchen dient.
Unfallbegriff soll klarer gefaßt werden
Die Mitglieder des Arbeitskreises empfehlen dem Gesetzgeber zu prüfen, wie eine bessere Verständlichkeit des § 142 StGB erreicht werden kann. Dabei könnte, ihrer Meinung nach, eine Begrenzung des Unfallbegriffs auf Fortbewegungsvorgänge und eine Präzisierung der Wartezeit bei Unfällen mit Sachschäden für Klarheit sorgen. Für Unfälle mit Sachschaden regen die Experten die Einrichtung einer neutralen Meldestelle an. Zusätzlich nehmen sie auch die
Versicherer in die Pflicht. Diese sollen die Dauer des „Verbleibens am Unfallort“ in ihren Versicherungsbedingungen unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Vorschrift des § 142 StGB klarstellen.
Keine Entziehung der Fahrerlaubnis mehr bei Sachschäden
Außerdem, so eine weitere Empfehlung des Arbeitskreises an den Gesetzgeber, soll das unerlaubte Entfernen vom Unfallort bei Sachschäden im Regelfall nicht mehr zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen. Der Arbeitskreis empfiehlt, bis zu einer gesetzlichen Änderung die Fahrerlaubnis nur noch bei erheblichen Personen- und Sachschäden über 10.000 Euro zu entziehen.
Außerdem fordern die Mitglieder des Arbeitskreises mit überwiegender Mehrheit den Gesetzgeber auf, die Möglichkeiten der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe bei tätiger Reue in § 142 Abs. 4 StGB zu reformieren. Dabei sollte die Begrenzung auf Unfälle außerhalb des fließenden Verkehrs entfallen und die Regelung auf alle Sach- und Personenschäden erweitert werden.
Quellen: PM Verkehrsgerichtstag und
mit Material der dts-Nachrichtenagentur
Lesen Sie auch unser Interview zum Thema Unfallflucht mit Rechtsanwalt Rudolf Esders
https://www.judid.de/interview-unfallflucht-soll-reformiert-werden/