Wer sich durch Flucht einer Verkehrskontrolle entziehen will und sich dabei ein „Rennen“ mit der Polizei liefert, erfüllt den Tatbestand des „Verbotenen Kraftfahrzeugrennens“.
Das entschied der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Stuttgart und schuf damit einen Präzendenzfall. Damit unterliegen auch Fälle einer sogenannten „Polizeiflucht“ dem seit Oktober 2017 geltenden Straftatbestand „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“. Der Gesetzgeber hat diesen eingeführt, um das bei Jugendlichen beliebte PS-strotzende Kräftemessen zu unterbinden. Bei den illegalen Rennen sind viele Unbeteiligte verletzt worden, bis hin zu Todesfällen.
Der betroffene PKW-Fahrer war vom Amtsgericht Münsingen am 2. Oktober 2018 wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe von 2.800 Euro verurteilt worden. Außerdem wurde sein Führerschein eingezogen und er erhielt eine Sperrfrist von neun Monaten für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Gegen diese Entscheidung legte der Mann Revision beim zuständigen Oberlandesgericht in Stuttgart ein. Vergeblich!
Der Tatbestand:
Der Autofahrer entzog sich in den frühen Morgenstunden des 1. Mai 2018 durch Flucht einer drohenden Kontrolle durch ein Streifenfahrzeug der Polizei. Er ignorierte das Haltesignal und beschleunigte sein Fahrzeug. Mit extrem hoher Geschwindigkeit und einer riskanten Fahrweise versuchte er das folgende Polizeifahrzeug abzuhängen. Die Beamten hatten Mühe, ihm mit Blaulicht und Martinshorn zu folgen. Das Haltesignal „Stopp Polizei“ ignorierte der Flüchtende und raste mit stark überhöhter Geschwindigkeit durch eine geschlossene Ortschaft. Die Gegenfahrbahn nutzend überfuhr er eine rote Ampel und setzte seine Fahrt mit mindestens 145 km/h fort. Dabei wurde er von einer Radaranlage „geblitzt“ .
Nach dem Ortsausgang raste der PKW-Fahrer auf der kurvenreichen und unübersichtlichen Bundesstraße 313 davon. Dabei erreichte er Geschwindigkeiten von mindestens 160 bis 180 km/h (Erlaubt sind 70 km/h). Ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr „schnitt“ er an unübersichtlichen Stellen die Kurven ab, um noch höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Das Polizeifahrzeug brach aus Sicherheitsgründen die Verfolgung ab.
Aus der Entscheidung des OLG Stuttgart:
Die erhobene Sachrüge deckte keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuchs (StGB). Insbesondere hat das Amtsgericht fehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies verlangt – so der Senat – nicht die Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen bzw. physikalischen Grenzen auszufahren. Ausreichend ist vielmehr das Abzielen auf eine relative, eine nach den Sicht-, Straßen-und Verkehrsverhältnissen oder den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche Höchstgeschwindigkeit. Auf diese Absicht hat das Amtsgericht aus der Gesamtschau der Umstände rechtsfehlerfrei geschlossen. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Vielmehr kann auch in Fällen der „Polizeiflucht“ eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, wenn die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelfall – wie hier – festgestellt werden können. Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Begründung sprechen dafür, auch die „Polizeiflucht“ als tatbestandsmäßig anzusehen. Schließlich ist sie von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Gesetzesbegründung genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liegt. Die risikobezogene Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben liegt auf der Hand. Es wäre vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Vorschrift und der intendierten Abgrenzung zwischen Fahrten mit Renncharakter – und damit abstrakt höherem Gefährdungspotential – und bloßen Geschwindigkeitsüberschreitungen auch sinnwidrig, für eine Strafbarkeit – bei identischer Fahrweise und gleicher abstrakter Gefährdungslage – allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst haben oder begleiten.
Az.: OLG Stuttgart 4 Rv 28 Ss 103/19
Az.: AG Münsingen 1 Cs 26 Js 12585/18
.
Quelle: PM OLG Stuttgart vom 8.8.2019