Die von der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles angestoßene Debatte über Hartz IV droht die SPD zu spalten. Während die Linkspartei eine Zusammenarbeit anbietet, gehen die SPD-Länderchefs vorsichtig auf Distanz zu dem Vorhaben.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) macht sich an die Umsetzung der Überlegungen und plant eine Hartz-IV-Reform. „Überzogene Sanktionen, die in der Praxis nicht wirken, aber viele verunsichern, müssen weg. Dazu gehören die verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige“, so Heil. „Vor allem bin ich aber dagegen, dass auch die Kosten der Unterkunft gekürzt werden können“, sagt der Minister im Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Es gibt im Sozialstaat eine doppelte Verantwortung: Zum einen die Fürsorge des Staates gegenüber Hilfebedürftigen, zum anderen die Verantwortung jedes Einzelnen, sich selbst einzubringen“, so der SPD-Politiker. „Wenn man das x-te Mal einen Termin beim Amt nicht wahrnimmt, sollte das Konsequenzen haben“.
Deutliche Mehrheit begrüßt Hartz-IV-Debatte
Eine Mehrheit der Deutschen begrüßt es, dass die SPD wieder über die Zukunft der Hartz-IV-Gesetze diskutiert. 75 Prozent finden es gut, dass die SPD darüber nachdenkt, die Hartz-IV-Gesetze weiter zu korrigieren. Das ergab eine Umfrage, die Infratest bereits im November 2018 für die ARD-Tagesthemen durchführte. Befragt wurden dabei 1006 Personen.
Immer weniger Hartz-IV-Empfänger
Die Zahl der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist im vergangenen Jahr stark zurückgegangen. Im November 2018 leben erstmals weniger als drei Millionen Haushalte von Hartz IV. Das ergeben aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Zahlen belegen die erfolgreiche Arbeit der Arbeitsagentur, die seit 2015 über 750.000 Personen aus Syrien, Afghanistan und den anderen Asylherkunftsländern neu ins Hartz-IV-System aufnehmen mußte.
Nahles will Grundsicherung statt Hartz IV
Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sagt: „Wir lassen Hartz IV hinter uns und bauen eine Grundsicherung“. Nach ihrer Meinung sind die Hartz-IV-Sanktionen ein „Symbol für das Misstrauen des Staates“ gegenüber den Bedürftigen, denen von vornherein eine Betrugsabsicht unterstellt wird. Sie will die Arbeitslosenversicherung wieder zu einem Sicherungssystem und die Grundsicherung auf ihren Ursprung als soziales Netz zurückzuführen.
In einem Rechtsanspruch auf Weiterbildung sieht die SPD-Chefin den Königsweg. „Arbeitnehmer mit geringen Einkommen müssen mehr netto in der Tasche haben, um den Abstand zur Grundsicherung zu vergrößern.“ Ihr Plan: Zuschüsse zu Sozialversicherungsbeiträgen, Steuergutschriften und ein höherer Mindestlohn.
Linke und Grüne reagieren unterschiedlich
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck kritisiert die Absage von Nahles an ein bedingungsloses Grundeinkommen: „Was Arbeit ist, wird in Zukunft anders beantwortet werden müssen“, sagt er im Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der frühere stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein sieht in der Grundabsicherung eine Voraussetzung für demokratische Teilhabe.
Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hat der SPD eine Zusammenarbeit angeboten. Es sei „erfreulich, wenn auch die SPD-Spitze endlich versteht, dass Hartz IV Millionen Arbeitnehmer enteignet“ habe, so Wagenknecht gegenüber der Funke-Mediengruppe. Nach Meinung der Linkspartei kann die SPD den Sozialstaat nur mit ihnen zusammen erneuern.
Olaf Scholz wartet auf BVerfG-Entscheidung
Mit Blick auf das anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit von Sanktionen spricht sich der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Olaf Scholz gegen eine komplette Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen aus. In der „Bild am Sonntag“ sagt er:
„Die Lebenserfahrung lehrt, dass es wohl nicht ganz ohne geht.“ Die Sanktionen für junge Leute unter 25 will er aber abschaffen und fordert neben einer Qualifikationsgarantie auch bessere Arbeitslosenleistungen.
Wenig Begeisterung bei SPD-Ministerpräsidenten
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht die geplante Reform kritisch. „Hartz IV ist zu großen Teilen unbestritten. Niemand will doch die Sozialhilfe oder das alte Arbeitsamt zurück haben“, sagt er. Das deutsche Sozialsystem sei so gut, daß keine neuen Strukturen erfunden werden müßten. Jedoch „es muss einen Abstand geben zwischen Menschen, die hart arbeiten und solchen, die aus guten Gründen staatliche Unterstützung kriegen“, sagte er der Funke-Mediengruppe.
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist anderer Meinung als seine Parteivorsitzende. Im Nachrichtenmagazin Focus warnte er davor, Hartz IV abzuschaffen und durch ein Bürgergeld zu ersetzen. „Wir dürfen das System nicht insgesamt infrage stellen“, sagt der SPD-Politiker. Er ist für einen Lohnabstand: „Viele Menschen gehen hart arbeiten und haben am Ende weniger als jemand, der nicht arbeiten geht und Arbeitslosengeld II bekommt. Es muss sich lohnen zu arbeiten.“
Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD) will ebenfalls kein bedingungsloses Grundeinkommen. Für Dreyer geht es um eine Weiterentwicklung des Sozialstaats. Sie ist der Meinung, dass „künftig die Lebensleistung beim Bezug eines Bürgergelds stärker berücksichtigt werden muss“. Daher soll das erarbeitete Vermögen bei Arbeitslosigkeit stärker geschont werden. Beides seien Kardinalfehler von Hartz IV und müssten geändert werden, so Dreyer.
Hartz IV – abschaffen ?
Der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag , Thomas Kutschaty, fordert die komplette Abschaffung von Hartz IV. Für ihn verstößt das System gegen elementare Grundsätze der Leistungsgerechtigkeit und ist den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen. Für Kutschaty ist das gegenwärtige System aus Arbeitslosengeld I und II im Falle einer Rezession überfordert und kann beim digitalen Wandel keine soziale Sicherheit geben.
Nach Ansicht des früheren NRW-Justizministers müssen die Interessen der Betroffenen im Vordergrund stehen und nicht Sanktionen. Außerdem will er die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs wieder an die Beitragsjahre koppeln.
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R.B., dts-Nachrichtenagentur