„Es ist verfassungswidrig, ausschließlich Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmern zuzulassen“, sagt der Verfassungsrechtler Professor Oliver Lepsius. Der an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster lehrende Jurist kritisiert: „Ein Protest muss sich auch in einer hinreichenden Teilnehmerzahl ausdrücken können.“
Es geht um die Regeln für Kundgebungen in Sachsen und Thüringen. Dort sind aktuell Proteste nur ortsfest und mit maximaler Teilnehmerzahl von zehn beziehungsweise 35 Personen zulässig. Für den Juristen sind auch Beschränkung auf maximal 35 Teilnehmer in Thüringen grenzwertig. Der Welt sagte Lepsius: „Der Staat muss sich Bedingungen ausdenken, unter denen die Versammlungsfreiheit wahrgenommen werden kann. Hier denkt er sich nur Bedingungen aus, sie zu unterbinden.“
Radikalisierung und Illegalität
Der Rechtswissenschaftler befürchtet „eine Radikalisierung in die Illegalität“, wenn Demonstrationen nicht zugelassen werden. „Der Staat darf sich nicht einseitig zum Gesundheitsschutz bekennen, sondern muss in einem Konflikt der Rechtsgüter beiden Rechten Rechnung tragen.“
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Auch Clemens Arzt, Professor für Staatsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin hält es für „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, die Anzahl von Teilnehmern pauschal durch eine Verordnung zu beschränken, wenn diese Anzahl von Menschen in anderen Zusammenhängen nicht verboten ist. „Wenn vorweihnachtliches Gedränge in der Fußgängerzone akzeptiert wird, kann dies bei einer Versammlung kaum verboten werden“, sagte Arzt der Welt.
Ein wichtiges Gut
Die an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main tätige Staatsrechtlerin Dr. Berit Völzmann erklärt: „Der Gesundheitsschutz darf die Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht untergehen lassen. Eine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen Unbedenklichkeit ist nicht erforderlich“. Nach ihrer Auffassung ist es wichtig, „dass sich gerade auch die Menschen artikulieren können, die das Gefühl haben, dass alles falsch läuft.“
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Quelle: dts, rb