Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat ein wegweisendes Urteil über die Vergabe von Studienplätzen im Bereich Humanmedizin gefällt. Der Gesetzgeber ist zukünftig gehalten, selbst Regeln für die Vergabe zu setzen.
Den Hochschulen bleibt nur noch ein Restspielraum, um die vom Gesetzgeber vorgegebenen Richtlinien zu konkretisieren. Insbesondere die Beschränkung der Bewerbung auf sechs Studienorte wurde von den Verfassungsrichtern verworfen.
Auslöser für das Urteil waren zwei Richtervorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen beim BVerfG vom 4. Oktober 2017. Dieses Verwaltungsgericht ist bundesweit erstinstanzlich für Beschwerden bei der zentralen Studienplatzvergabe zuständig. Die Gelsenkirchener Richter sind der Meinung, dass es auch mit durchschnittlichen Abiturnoten nach einer angemessenen Wartezeit möglich sein muss, ein Medizinstudium zu machen.
Dieser Meinung stimmen die höchsten Richter jetzt zu. Im Leitsatz ihres Urteils (Auszug) vom 19. Dezember heißt es dazu :
- Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG haben jede Studienplatzbewerberin und jeder Studienplatzbewerber ein Recht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Studienangeboten und damit auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl.
- Regeln für die Verteilung knapper Studienplätze haben sich grundsätzlich am Kriterium der Eignung zu orientieren………..“
- Der Gesetzgeber muss die für die Vergabe von knappen Studienplätzen im Studienfach Humanmedizin wesentlichen Fragen selbst regeln. Insbesondere muss er die Auswahlkriterien der Art nach selbst festlegen. Er darf den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung dieser Auswahlkriterien einräumen.
- Die Abiturbestenquote begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die maßgebliche Orientierung der Vergabeentscheidung an den Ortswunschangaben sowie die Beschränkung der Bewerbung auf sechs Studienorte lassen sich im Rahmen der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich jedoch nicht rechtfertigen.
- Verfassungswidrig sind die gesetzlichen Vorschriften zum Auswahlverfahren der Hochschulen insofern, – als der Gesetzgeber den Hochschulen ein eigenes Kriterienerfindungsrecht überlässt,- als die Standardisierung und Strukturierung hochschuleigener Eignungsprüfungen nicht sichergestellt ist,- als die Hochschulen neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien uneingeschränkt auch auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zurückgreifen dürfen,
– als im Auswahlverfahren der Hochschulen die Abiturnoten berücksichtigt werden können, ohne einen Ausgleichsmechanismus für deren nur eingeschränkte länderübergreifende Vergleichbarkeit vorzusehen,
– als für einen hinreichenden Teil der Studienplätze neben der Abiturdurchschnittsnote keine weiteren Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht Berücksichtigung finden.
- Die Einrichtung einer Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich zulässig, wenngleich nicht geboten. Sie darf den jetzigen Anteil von 20 % der Studienplätze nicht überschreiten. Die Wartezeit muss in der Dauer begrenzt sein.
Damit sind nach Meinung der Verfassungsrichter ein Teil der bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Sie verletzen den grundrechtlichen Anspruch der Studienplatzbewerberinnen und -bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot. Außerdem verfehlen die landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die Anforderungen, die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung eine Frist bis zum 31. Dezember 2019 gesetzt, um das Vergabeverfahren neu zu regeln.
Quelle: BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Dezember 2017
AZ: 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14