In Deutschland regiert die Doppelmoral. Für Heimtiere und ihre (vermeintlichen) Bedürfnisse sitzt das Geld locker. Schlachtvieh und Legehennen aber warten vergeblich auf ein Mindestmaß an Tierwohl. Ein freiwilliges Tierwohl-Kennzeichen für Fleischprodukte soll nun Abhilfe schaffen.
Beim Discounter gibt es Regenmäntel für Hunde, in den Größen XS bis L, gelbfarben passend zu Herrchens oder Frauchens „Friesennerz“. Auch veganes Futter für Katzen und Hunde oder Denta-Kausticks zur Mundhygiene der geliebten Samtpfoten gehören heute ins Sortiment der Super- und Tiermärkte. Deutschland ist ein Paradies für Haustiere.
Aus Osteuropa werden Scharen von ausgehungerten, misshandelten und daheim perspektivlosen Straßenhunden „importiert“. Das ist ein profitables Geschäftsmodell für „tierliebe Schlepper“. Sie machen die Tiere migrationsfähig und bringen sie nach Deutschland. Hier werden sie von Hundefreunden für viel Geld medizinisch versorgt und mittels Hundecoaching auf das Leben in ihrer neuen Heimat vorbereitet.
Aber wie passt diese lobenswerte Tierliebe zu der ebenso weit verbreiteten Ignoranz gegenüber dem Leiden von Millionen Nutztieren, die in Massentierhaltung artfremd und tierverachtend gehalten werden. Diese Tiere können teilweise nicht im Liegen schlafen, Boxen und Käfige sind zu eng und es fehlt am nötigen Auslauf. Berichte darüber sorgen für weniger Aufsehen als das Schicksal der gepfändeten und über Ebay-Kleinanzeigen verkauften Mops-Hündin Edda. Deren Käuferin verklagt die Stadt Münster auf Schadenersatz von mehr als 20.000 Euro, weil das Tier entgegen der Angaben in der Internet-Annonce nicht gesund gewesen sei und sie die notwendigen Tierarztkosten erstattet haben will. Das Landgericht Münster hat zur Klärung der Schadenersatzfrage für den 25. September einen Gütetermin festgesetzt..
Deutschland wegen Tierversuchen angeklagt
Währenddessen droht Deutschland wegen Verstößen gegen die EU-Vorgaben zu Tierversuchen eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Grund, so die Nachrichtenagentur dts: Mehr als 20 Vorgaben der entsprechenden EU-Richtlinien seien in Deutschland entweder gar nicht oder falsch umgesetzt worden. Zudem habe Deutschland im laufenden Vertragsverletzungsverfahren bis heute noch nicht einmal einen Entwurf oder Zeitplan präsentiert, wie das bislang geltende deutsche Recht endlich in Einklang mit den EU-Richtlinien gebracht werden soll. Dass das immer noch nicht passiert sei, bezeichnet Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder als „absolutes Armutszeugnis“.
Bei den Deutschland vorgegebenen Versäumnissen geht es u. a. um die Vorgaben zum Betäuben und Töten von Versuchstieren, zur behördlichen Kontrolle von Tierversuchen und fachlichen Qualifikation des Personals. Um was für eine Größenordnung es hier geht, zeigen jüngste Zahlen. So wurden allein in 2017 fast 2,8 Mio. Versuchstiere eingesetzt und 740.000 davon getötet.
Gleicher Schutz für Schlacht- und Haustiere
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wurden 2017 fast 750 Mio. Tiere in Deutschland geschlachtet. Tendenz steigend, denn 2018 waren es bereits 771 Mio., also + 3,3 Prozent. Schlachten ist also mehr denn je und trotz des veganen Hypes Big Business pur. „Doch die Zeiten sind vorbei, in denen das wirtschaftliche Interesse stets den Schutz der Tiere aushebeln darf“, sagt Renate Künast, tierschutzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und fordert, das deutsche Tierschutzgesetz zügig den Vorgaben aus Brüssel anzupassen und dabei für den Umgang mit Schlachttieren gleiche Maßstäbe wie bei Haustieren anzulegen. Das Problem sei allerdings, dass im Grundgesetz die Berufsfreiheit und das das Eigentum der Schlachttierhalter noch immer höher gewichtet würden als der Tierschutz. Das beschere der Schlachttier-Wirtschaft quasi „die faktische Abschaffung des Tierschutzes“.
Wie schwer es ist, den erst seit 2002 im Grundgesetz verankerten Tierschutz auch für Schlachtvieh durchzusetzen, zeigt das Beispiel der Ferkel-Kastration. Das Kastrieren der Tiere „ohne Betäubung“ sollte ab Januar 2019 verboten sein. Aber die Genehmigung wurde, auf Drängen der betroffenen Betriebe, um zwei Jahre verlängert. Und während Schweinehalter nach wie vor ohne Hinzuziehung eines qualifizierten Tierarztes ihre Ferkel als „Heimwerker“ ohne Betäubung kastrieren dürfen, macht sich jeder Hunde-Besitzer, der das bei seinem Dackel macht, strafbar.
Tierwohl-Kennzeichen gegen Doppelmoral?
Immerhin hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) jetzt einen Gesetzentwurf zur Einführung eines staatlichen, freiwilligen Tierwohl-Kennzeichens auf den Weg gebracht: Der gesamte Rechtssetzungsprozess wird allerdings noch bis Ende des Jahres dauern, so dass frühestens Mitte 2020 die ersten Fleischprodukte mit dem neuen Label in den Handel kommen können. Zudem gilt das Siegel erst einmal nur für Schweine; später sollen Rinder und Geflügel folgen.
Kritiker verweisen auf die durch die Freiwilligkeit gegebene Unverbindlichkeit des neuen Labels und beklagen, dass es so auch weiterhin Billig-Fleisch von Tieren geben wird, deren Aufzug, Haltung und Schlachtung den für das Tierwohl-Kennzeichen vorgeschriebenen Kriterien nicht gerecht wurde. Nur aus diesem Grund kann das Fleisch preisgünstiger an die Endverbraucher weitergegeben werden. Außerdem sei das neue Klöckner-Siegel – wenn es denn so den Bundestagtatsächlich passieren sollte – auch nur ein weiteres von vielen bereits existierenden Tierwohl-Labeln sein.
Tierwohl kostet Geld
Zielführender im Kampf gegen die Quälerei in der Massentierhaltung scheint da auf den ersten Blick die Einführung einer Fleischsteuer zu sein. „Parallel zur CO2-Steuer brauchen wir auch eine Fleischsteuer“, forderte deshalb Thomas Schröder vom Deutschen Tierschutzbund kürzlich in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Denn mit den Einnahmen könnte der Umbau in den Ställen finanziert werden. Allerdings würde das am nach wie vor deutlichen Preisabstand zwischen Tierwohl- und Quälfleisch auch nichts ändern und vielleicht sogar zu einer Zunahme der Nachfrage nach billigen Fleischprodukten führen. Das gilt auch für die derzeit diskutierte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch von heute sieben auf 19 Prozent. „Dann gehen die Leute von der Bio-Theke wieder zur normalen Fleischtheke“, zitiert Die Welt den EU-Kommissar Günther Oettinger.
Aber auch Initiativen, die nichts kosten, sind offensichtlich nicht so recht durchsetzbar. So forderte die Werte-Union – ein unabhängiger Verein, der sich selbst als konservativer Flügel von CDU und CSU bezeichnet – neben dem Verbot des sogenannten „Kükenschredderns“ und der betäubungslosen Ferkelkastration auch ein Verbot des betäubungslosen, im Judentum und im Islam religiös motivierten Schächtens. Vergeblich, denn auch dieses qualvolle sogenannte „Halal-Schlachten“ bleibt vorerst erlaubt, weil man Juden und Muslime nicht in ihrer Religionsfreiheit einschränken will.