Gibt es ein Recht auf „Gemeinfreiheit für staatliche Werke“? Oder deutlicher: Sollen Bürger und Medien freien Zugang zu staatlichen Publikationen und Dokumenten haben? Eine Grundsatzfrage, über die am Ende wohl der Europäische Gerichtshof entscheiden muss.
Dass das Urheberrecht nicht nur zum Schutz geistiger Arbeit und ihrer Urheber dient, sondern auch zur Geheimhaltung brisanter behördlicher Informationen gleichsam als Zensur instrumentalisiert werden kann, beweist derzeit der Rechtsstreit zwischen dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und der Bürgerinformationsplattform „FragDenStaat“. Die Plattformbetreiber hatten vom BfR auf Anfrage ein wissenschaftliches Gutachten der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) erhalten, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ist.
Der Hinweis des Bundesinstituts, dass die Übermittlung der Studie nur zum persönlichen Gebrauch erfolgt und eine Veröffentlichung ohne schriftliches Einverständnis gemäß des Urheberrechts nicht erlaubt sei, hinderte die Plattformbetreiber jedoch nicht, die staatlich und damit vom Steuerzahler finanzierte Behördenanalyse auf ihrer Internetseite online zu stellen. Die juristische Eskalation blieb nicht aus.
Steuerfinanziertes Wissen als Geheimsache?
Nachdem das Institut bereits im Juli vor dem Landgericht Köln aufgrund von Formfehlern damit gescheitert war, die weitere Veröffentlichung unter Berufung auf urheberrechtliche Ansprüche und mittels einstweiliger Verfügung zu unterbinden, geht es jetzt – wieder vor dem Landgericht Köln – ums Grundsätzliche: Darf es die urheberrechtliche Rechtsetzung staatlichen Organen tatsächlich erlauben, das öffentliche Bekanntwerden offiziell in Auftrag gegebener Untersuchungen und damit die freie Berichterstattung von Medien zu unterbinden bzw. zu behindern?
Für Arne Semsrott, Projektleiter FragDenStaat der Open Knowlegde Foundation Deutschland, steht jedenfalls fest, dass das Urheberrecht in seiner jetzigen Form dem Missbrauch als Instrument der Zensur Vorschub leistet. Der Prozess zeige schon jetzt, „dass das deutsche Urheberrecht dringend reformiert werden muss“. Er sagt: „Es ist höchste Zeit, dass amtliche Dokumente wie das Glyphosat-Gutachten grundsätzlich gemeinfrei sind“.
Auch für Tina Groll, Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union-ver.di, geht es nicht an, dass Informationen aus dem Staatsapparat bzw. über ihn der interessierten Öffentlichkeit mit Hinweis auf das Urheberrecht vorenthalten werden (können): „Das Urheberrecht dient dem Schutz der Arbeit Kreativer. Staatliches Handeln ist keine kreative Leistung, die unter diesen Schutz fällt. Das Urheberrecht zu missbrauchen, um staatliches Handeln zu verschleiern, ist zynisch. Die Möglichkeiten müssen gesetzlich eingeschränkt werden.“
Missbrauch des Urheberrechts
Arne Semsrott und Tina Groll gehören auch zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, der am 11. Dezember an die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht auf die Post gegangen ist. Mit unterschrieben haben auch Prof. Dr. Frank Überall vom Deutschen Journalisten-Verband, Christian Mihr für Reporter ohne Grenzen e. V. und der Wikimedia Deutschland-Geschäftsführer Abraham Taherivand. In der gemeinsamen Verlautbarung wird vor allem beklagt, dass die Deckelung der Glyphosat-Studie kein Einzelfall sei und dass „Bundesbehörden in wiederholten Fällen urheberrechtliche Rechtsdurchsetzung mit dem Ziel einsetzen, das öffentliche Bekanntwerden bestimmter Schriftstücke zu verhindern – die nicht nur nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, sondern nach allen Grundlagen verantwortungsbewussten staatlichen Handelns frei zugänglich sein sollten“.
Um die taktische Zweckentfremdung legitimer urheberrechtlicher Schutzmechanismen zur undemokratischen Unterdrückung von Informationen in Deutschland zu beenden, will FragDenStaat mit dem Fall nötigenfalls auch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. „Das Glyphosat-Gutachten ist staatlich finanziert (…). Dass das Urheberrecht als Zensurheberrecht missbraucht wird, ist ein Angriff auf die Pressefreiheit“, sagt Arne Semsrott und will die Menschen dazu aufrufen, das Papier selbst beim BfR anzufragen. Denn das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gäbe allen Bürgern das Recht, nichtgeheimhaltungswürdige Informationen von Bundesbehörden zu erfragen.
Beim EuGH ist auch schon ein anderer Fall aus Deutschland anhängig, in dem es ebenfalls darum geht, ob das Urheberrecht zur behördlichen Geheimhaltung taugt: die sog. „Afghanistan-Papiere“ zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Auch diese wurden aus Angst vor allgemeiner Verunsicherung und Fehlinterpretationen bei den Menschen „draußen“ unter Instrumentalisierung des Urheberrechtes weitestgehend unter Verschluss gehalten.