Um die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen voranzutreiben, hat das Bundeskabinett Ende November das Gesetz für eine Bürger-Identifikationsnummer auf den Weg gebracht. Dafür soll fortan die Steuer-ID als generelle Personenkennziffer genutzt werden. Verfassungsjuristen, Datenschützer und Opposition laufen derweil Sturm.
Was die schwarz-rote Koalition jetzt als wichtigen Schritt zur Registermodernisierung und hin zu mehr Bürgerfreundlichkeit propagiert, stößt bei Experten auf heftige Kritik. Denn eigentlich war ja die Steuer-ID im Jahre 2007 ausdrücklich und ausschließlich für die Verwendung im Steuer-Bereich eingeführt worden. Jetzt soll sie zur Entlastung bei Behörden und mit dem Verweis auf mehr Bürgerfreundlichkeit darüber hinaus als verwaltungsübergreifende Identifikations- bzw. Bürgernummer gleich mit mehr als 50 Datenbanken von Bund und Ländern inklusive der Fahrzeug-und Melderegister umfunktioniert werden. Nicht nur an dieser Stelle sehen Kritiker parteiübergreifend das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung gefährdet.
Datenschützer sehen gläsernen Bürger
So warnte die Konferenz der Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) bereits nach Bekanntwerden der Pläne Ende August davor, die Steuer-ID als Personenkennzeichen fürs E-Government zu verwenden, weil das einer drohenden Verfassungsbeschwerde nicht standhalten werde. Denn mit dem Gesetzesentwurf des Innenressorts würde aus der als Bearbeitungsmerkmal fürs Finanzamt vergebenen ID eine sektorenübergreifende Personenkennziffer, die es erlaube, staatlicherseits umfassende digitale Persönlichkeitsprofile zu erstellen. So könnten z. B. Informationen aus dem Melderegister mit solchen aus dem Versichertenverzeichnis der Krankenkassen sowie aus dem Register für ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt oder dem Schuldnerverzeichnis abgeglichen werden.
Zudem rechnet die DSK damit, dass die nunmehr als Personenkennzeichen verwendete Steuer-ID „auch im Wirtschaftsleben weite Verbreitung finden wird, was das Missbrauchsrisiko weiter erhöht“. Diese Gefahr sieht auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber: Die Politik sei dabei, ihr „hochheiliges Versprechen“ zu brechen, dass die Steueridentifikationsnummer ausschließlich für den Steuerbereich verwendet würde, und warnt vor einem „Vabanque-Spiel“ mit der Steuer-ID.
Alternative: Sektorspezifische Personenkennziffer
Die Bedenken der Datenschützer scheinen dabei mehr als begründet. Denn in § 139b Absatz 2 der Abgabeordnung zur Steuer-ID heißt es ausdrücklich, dass andere Stellen als die Finanzbehörden die Steuer-ID „nur erheben oder verwenden (dürfen), soweit dies für Datenermittlungen zwischen ihnen und den Finanzbehörden erforderlich ist“. Als Alternative schlägt die DSK stattdessen „sektorspezifische“ Personenkennziffern vor. Diese seien „datenschutzgerecht und zugleich praxisgeeignet“, da sie einen einseitigen staatlichen Abgleich erschwerten und dennoch zur Identifizierung taugten.
Von solchen und anderen Alternativ-Vorschlägen sowie datenschutzrechtlichen Bedenken ließen sich die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD bei der 1. Lesung des umstrittenen Regierungsentwurfes am 19. November jedoch nicht beeindrucken. Der Gang zur Behörde müsse endlich auch übers Mobiltelefon möglich sein, forderte z. B. der parlamentarische Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU), und die Steuer-ID erfülle als zentrale Bürger-Kennziffer die dafür nötigen Anforderungen und könne „ohne Weiteres“ mit Blick auf Registermodernisierung und mehr Bürgerfreundlichkeit erweitert werden. „Wir müssen die Register miteinander vernetzen“ und dafür den Zugriff „nach Recht und Gesetz regeln“, sagt Ernst Bürger, Leiter der Abteilung Digitale Verwaltung im Bundesinnenministerium, und hält eine Datenschutzdebatte für kontraproduktiv.
Umstritten und gut für Hacker
Das sieht Christoph Sorge, Inhaber des Lehrstuhls für Recht und Informatik an der Universität des Saarlandes, entschieden anders: Ein übergreifendes Identitätsmanagement sei zwar längst überfällig, aber die Steuer-ID dafür „nicht der richtige Weg“. Denn sie sei eine Nummer, über die nicht zuletzt auch Hacker illegal Register oder Informationen von damit hantierenden Banken, Arbeitgebern oder Krankenversicherungen zusammenführen und nutzen könnten.
Auch der SPD-Politiker und Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sprach sich jüngst bei einer Online-Diskussion des Behörden-Spiegel gegen eine Instrumentalisierung der Steuer-ID als Personenkennziffer aus und sieht die diesbezügliche Initiative der Bunderegierung „rechtlich auf sehr, sehr dünnem Eis“. Umso bedauerlicher sei es, dass sich die Exekutive bisher nicht die Mühe gemacht habe, „alle möglichen Alternativen gleichrangig zu untersuchen“.
Obwohl der Gesetzesentwurf zur Nutzung der Steuer-ID als Personenkennzeichen erst noch den Bundestag und den Bundesrat passieren muss und selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages soeben verfassungsrechtliche Einwände gegen das Vorhaben vorgebracht hat, hat Horst Seehofers Innenministerium im Haushalt der Bundesregierung für 2021 bereits 65 Millionen Euro für das insgesamt auf ca.300 Millionen Euro veranschlagte, umstrittene Projekt beantragt.
1 Kommentare
Vielleicht sollte man hier einiges sortieren. Die Kritik dürfte ausschließlich von Seiten der Datenschützer kommen. Die Datenschutzkonferenz hatte sich leider zu früh auf das Modell in Österreich festgelegt und hatte dessen Schwachstellen nicht im Blick (funktioniert nur mit zentralen Register, die es in Deutschland so nicht gibt). Jetzt kommt die Datenschutzkonferenz nicht mehr aus ihre Ecke heraus und bezeichnet alle Alternativen hierzu als verfassungswidrig. Schwer nachvollziehbar, aber verständlich. Immerhin geht es bei der Einführung einer einheitlichen Identifikationsnummer für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes um das Fundament des Datenschutzes: Sind die Kernaussagen des Volkszählungsurteils in Zeiten des digitalen Wandels noch zeitgemäß? Oder zugespitzt: Existiert heute noch eine grundlegende Angst des Bürgers vor dem Computer? Die positiven Aspekte des Gesetzentwurfes werden leider nicht thematisiert. Schade.
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