FDP-Vice Wolfgang Kubicki, selbst ein erfahrener Jurist, muß nun selbst Kritik an seiner Stellungnahme zum Vorstoß von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) zur möglichen Ungleichbehandlung von Ungeimpften einstecken.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende hatte den Vorschlag von Kanzleramtsminister Braun als „grob verfassungswidrig“ bezeichnet. Das sehen namhafte Verfassungsrechtler aber nicht so. Professor Thorsten Kingreen, der an der Universität Regensburg einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht hat, sagte der Welt dazu: „Ungeimpfte stellen eine Gefahr für andere dar. Auch sind sie selbst stärker gefährdet, an Corona schwer zu erkranken. Hieran darf staatliches Gefahrenabwehrrecht nicht nur anknüpfen, es muss es sogar.“
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Ergänzend erläuterte Kingreen: „Das hat weder etwas mit Diskriminierungen noch mit Privilegierungen zu tun, sondern schlicht damit, dass der Staat nur in Freiheitsrechte eingreifen darf, soweit das zur Gefahrenabwehr erforderlich ist“. Der freiheitliche Staat setze darauf, dass Menschen verantwortlich handelten, und wenn sie das nicht täten, müssten sie auch mit den Konsequenzen leben.
Freiheitsrechte auch für Ungeimpfte
Der Regensburger Rechtswissenschaftler stimmt Kubicki dahingehend zu, daß selbstverständlich auch Ungeimpfte Freiheitsrechte hätten. „Einen pauschalen Lockdown nur für Ungeimpfte, das kann es nicht geben.“ Freiheitsbeschränkungen dürften auch nicht, wie das nach wie vor geschehe, an Inzidenzwerten anknüpfen, sagte Kingreen der Zeitung und ergänzte: „Wenn wir aber, wie jetzt in den USA, feststellen sollten, dass auf den Intensivstationen ein überwiegender Teil der Patienten ungeimpft ist und die Kapazitätsgrenzen der Krankenhäuser erreicht zu werden drohen, muss der Staat handeln und darf Beschränkungen überall dort verfügen, wo es für den Einzelnen nicht lebensnotwendig ist.“
Kein Lockdown für Geimpfte
Auch der Staatsrechtler Professor Josef Franz Lindner sieht die Rechtslage ähnlich. Der renommierte Jurist ist Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität in Augsburg. Er sagt: „Man wird sich schwertun, einschränkende Maßnahmen gegen Geimpfte zu verhängen. Wenn man nicht grundsätzlich an der Wirksamkeit der Impfung zweifelt, kommt ein Lockdown für alle aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht mehr infrage.“ Von diesem Standpunkt abgeleitet, hält es Lindner auch für nicht mehr erklärbar, dass Geimpften weiterhin Quarantänepflichten auferlegt werden. „Geimpfte in Quarantäne zu schicken, ist verfassungsrechtlich nicht vertretbar“, sagt Lindner. Von Geimpften gehe schließlich kaum eine Gefahr aus.
Ungeimpfte Kinder als Rechtsproblem
Beide Staatsrechtler vertreten die Auffassung, dass man Kinder rechtlich wie Geimpfte behandeln müsse. Professor Kingreen erklärte dazu in der Welt: „Menschen, die nicht geimpft werden können, müssen die gleichen Freiheitsrechte wie Geimpfte haben. Von ihnen geht zwar eine Gefahr aus und sie sind gefährdet, aber sie können dieser Gefahr durch eigenmächtiges Handeln nicht begegnen. Der freiheitliche Staat setzt darauf, dass Menschen verantwortlich handeln. Es braucht also eine entsprechende Bescheinigung für Kinder und jene, die nicht geimpft werden sollen“
Der Augsburger Rechtswissenschaftler stimmt seinem Regensburger Kollegen zu und sagt: „Es ist eine Frage, die die Politik dringend beantworten muss. Man kann Kinder und jene, die nicht geimpft werden können, pauschal nicht wie Menschen behandeln, die sich nicht impfen lassen wollen. Das hätte vor keinem Gericht bestand. Davon bin ich überzeugt.“
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Quelle: dts-Material