Das Musizieren daheim gehört zur grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit. Aber das Recht auf Ruhe ebenso. Kaum ein Thema hat soviel Potenzial für Nachbarschaftsstreit wie Lärmbelästigung durch Hausmusik.
Am 28. September verhandelt der Bundesgerichtshof über ein Verfahren, in dem die Bewohner (und Nießbraucher) eines Reihenhauses erreichen wollen, dass sie das als Lärmbelästigung empfundene Trompetenspiel aus dem benachbarten Reihenhaus nicht mehr mit anhören müssen. Das Urteil dürfte richtungsweisend sein.
Im vorliegenden Fall war der Beklagte (Berufsmusiker und Eigentümer des benachbarten Reihenhauses) vom zuständigen Amtsgericht dazu verurteil worden, „geeignete Maßnahmen“ zu ergreifen, damit sein Trompetenspiel „auf dem Anwesen der Kläger nicht wahrgenommen werden kann“. Der Mann hatte nach eigenen Angaben im Erdgeschoss und in einem Proberaum im Dachgeschoss an zwei Tagen der Woche jeweils maximal drei Stunden unter Berücksichtigung der Mittags- und Nachtruhe selbst Trompete gespielt und zudem wöchentlich zwei Stunden externe Schüler an der Trompete unterrichtet.
Grundrecht auf lautes Musizieren?
Nachdem der mit dem Urteilsspruch nicht einverstandene Beklagte auch in der anschließenden Berufung vor dem Landgericht nur einen Teilerfolg erreichen konnte, der ihm das Trompetenspiel allenfalls noch im Dachgeschoss zu eingeschränkten Tageszeiten erlaubte und darüber hinaus die Erteilung von Musikunterricht ganz verbot, will er in der nunmehr vor dem Bundesgerichtshof zugelassenen Revision erreichen, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.
Dabei verweist der Trompeter auf andere, bisherige Gerichtsurteile, nach denen das häusliche Musizieren ohne solche Einschränkungen und zu ausgedehnteren Tageszeiten zulässig sei. Dem Musiker das Musizieren ausschließlich auf dem Dachboden zu gestatten und ihm das Musizieren mit anderen Personen zu verbieten, widerspreche seinem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Was ist „sozialadäquate Hausmusik“?
Wie nicht anders zu erwarten, sind die vom Trompetenlärm genervten Kläger nicht bereit, klein beizugeben, und machen in der Anschlussrevision geltend, dass sie zu einer Duldung des geräuschintensiven Trompetenspiels nicht verpflichtet seien, da es sich nicht um „sozialadäquate Hausmusik“ handele. Das Ergebnis ist absolut offen. Denn wie laut in den eigenen vier Wänden trompetet, geklimpert oder gar getrommelt werden darf, darüber urteilen Gerichte sehr unterschiedlich.
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Die Rechtslage ist eindeutig, lässt aber dem richterlichen Ermessen durchaus Spielraum, und eine Sammlung der Gerichtsurteile zu diesem Thema könnte ein ganzes Buch füllen. Gilt es doch abzuwägen zwischen dem Recht auf freie Entfaltung des Musikanten und dem Ruhebedürfnis der Nachbarn.
Gibt es ein „übliches Maß“ für Nachbarschaftslärm durch Musik? Kann in Zimmerlautstärke überhaupt Schlagzeug oder Saxofon gespielt werden? Macht es einen Unterschied zwischen Klassik, Rock und Jazz? Welche Musik ist sozialadäquater: ein Kinderlied auf der Blockflöte oder Hardrock auf der E-Gitarre? Bach oder Beat? Über Geschmack und Zumutbarkeit lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Am ehesten greifen da noch die allgemeinen Regeln über Ruhestörungen, wie sie z. B. für Bau- und Partylärm in der Nachbarschaft gelten.
Keine Beschränkung auf Zimmerlautstärke
Grundsätzlich gilt, dass außerhalb der allgemeinen Ruhezeiten (mittags zwischen 13 und 15 Uhr sowie von 22 bis 7 Uhr morgens) jeder in seiner Wohnung ein Instrument spielen kann. Der durchschnittliche Schallpegel, der von Klavieren, Geigen oder Flöten ausgeht, liegt dabei mit 80 bis 86 Dezibel auf dem Niveau von Autos oder Rasenmähern und ist damit doppelt so hoch wie der von den Gerichten für die Zimmerlautstärke festgelegte Grenzwert von 40 Dezibel. Trompeten und Schlagzeuge entsprechen mit 95 Dezibel sogar Presslufthämmern und Motorsägen. Das bedeutet: Die tatsächliche Lärmbelästigung hängt auch von der Wahl des Instrumentes ab und liegt immer über der gesetzlichen Zimmerlaustärke. Ausnahmen bilden natürlich Keyboards oder elektronisch verstärkte Gitarren, auf denen auch über Kopfhörer musiziert werden kann.
Inwieweit das Musizieren des Nachbarn als Belästigung empfunden wird, hängt natürlich auch von dessen Repertoire ab (Free Jazz und Rock finden durchweg weniger Akzeptanz als Klassik etc.) und an seinem Können. Misstönendes Geigenspiel eines Anfängers nervt erfahrungsgemäß mehr als eine perfekt gespielte Klaviersonate.
Im Einzelfall genaue Spielzeiten
Fest steht – und da sind sich alle Gerichte und Instanzen bisher einig: Eine generelle Beschränkung auf Zimmerlautstärke kann es sui generis nicht geben, auch wenn das in der Hausordnung stehen sollte. Das komme – so die bis heute unangefochtene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts – einem Musizierverbot in den eigenen vier Wänden gleich.
Deshalb gilt ausnahmslos: Jeder Mieter oder Haus- und Wohnungsbesitzer hat einen Anspruch darauf mindestens zwei Stunden täglich auf seinem Instrument zu spielen, solange er sich an die allgemein gültigen Ruhezeiten hält. Aus diesem Grunde beschränken sich die Gerichte im Klagefall durchweg auf zeitliche Einschränkungen, die zudem im Einzelfall von der Lautstärke des jeweiligen Instrumentes, den baulichen Gegebenheiten vor Ort und der altersmäßigen Zusammensetzung der Hausbewohner bzw. der Nachbarschaft abhängig gemacht werden.