Die Fraktion Bündnis90 /Die Grünen hat die Bundesregierung aufgefordert, die Deutsche Gebärdensprache als Minderheitensprache im Sinne der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen anzuerkennen.
In der Antwort der Regierung auf die kleine Anfrage der Grünen-Fraktion heißt es: „Die Bundesregierung hat nicht vor, die Deutsche Gebärdensprache als Minderheitensprache im Sinne der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen anzuerkennen. Die Gebärdensprache sei bereits als eigenständige Sprache anerkannt, während die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen auf den Schutz von herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates gebrauchten Sprachen abzielt.“
Die Sinnfrage für die Anfrage
Wollten sich die Grünen mit ihrer Anfrage im Bundestag als Kämpfer für rechtlose Minderheiten profilieren? Dann kommen sie etwas spät. Die Gebärdensprache ist in Deutschland als eigenständige Sprache rechtlich seit 2002 anerkannt, nachzulesen im Behindertengleichstellungsgesetz.
Sehen sich die Antragsteller als Kämpfer für die Chancengleichheit von Behinderten? Auch hier kommen sie zu spät, um satte 175 Jahre. So lange wurde die Gebärdensprache von Anhängern des Oralismus unterdrückt. Diese glaubten, Gebärden würden das Erlernen der Lautsprache behindern. Ein Beschluss der Taubstummenlehrer 1880 beim Kongress in Mailand führte zu einem Anwendungsverbot. Kinder, die dabei ertappt wurden, erhielten in einigen Schulen Stockschläge auf die Hände. Diese Zeiten sind zum Glück schon länger Geschichte (siehe vorige Frage). Für die grünen Gerechtigkeitskämpfer heißt das: Der Drops ist gelutscht!
Ohne bestimmtes Gebiet keine Minderheitensprache
Bleibt noch die „Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“. Sie definierte eine Minderheitssprache so: „von einer Minderheit in einem Staatsgebiet gebrauchte Sprache, die sich von der Amtssprache unterscheidet und weder ein Dialekt noch die Sprache von Zuwanderern ist.“
Die Gehörlosen bilden zwar anerkanntermaßen eine eigenständige Bevölkerungsgruppe mit identitätsstiftender sprachlicher Tradition und Kultur, aber sie sind keine „Minderheit in einem Staatsgebiet“. Damit entfällt der in der Charta garantierte „Schutz von herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates gebrauchten Sprache“. Ergo: Kein eigenes Gebiet im Staatsgebiet – kein Schutzanspruch für die Gebärdensprache.
Vorschläge für künftige kleine Anfragen
Zumindest nach dem ablehnenden Schreiben der Bundesregierung hätten sich die Grünen einmal innovativ zeigen können und die Anerkennung eines „dezentralen virtuellen Staatsgebiet für Gehörlose“ fordern können. Gewissermaßen als Voraussetzung für die spätere Aufnahme der deutschen Gebärdensprache in die EU-Charta. An dieser Stelle ist rechtlich noch viel Luft nach oben.
Hier ein paar Vorschläge für sinnfreie kleine Anfragen im Bundestag, um die Ministerien etwas zu beschäftigen:
1. Esperanto als Schulsprache einzuführen und Schulausflüge dorthin organisieren.
2. Kanak-Sprak in die Charta der Regional- und Minderheitensprachen aufnehmen.
3. Bedrohte Computersprachen als Minderheitensprachen anerkennen. Da gibt es viele bedrohte Dialekte, z.B. Basic, Pascal oder Fortran.
1 Kommentare
Vielen Dank für den interessanten Artikel.
Esperanto wurde bereits in den 1920-er Jahren in Deutschland als Schulsprache unterrichtet. 1933 gab es in etwa hundert Schulen in Deutschland Esperanto-Unterricht – dieser wurde dann unter Hitler beendet. Stalin verfolgte Esperanto-Sprecher, einige von ihnen wurden in der Sowjetunion wegen ihrer Esperanto-Aktivitäten erschossen, andere kamen in den Lagern des Gulag um. Ceaucescu, Franco, Salazar und andere Diktatoren unterdrückten Esperanto. Schade, dass es bis heute Personen gibt, die gegen Esperanto Vorbehalte haben, die zumeist auf unzureichender Kenntnis der weltweiten Sprach- und Kulturgemeinschaft der Esperanto-Sprecher beruhen; Irrtümer zur Esperanto-Praxis sind bei Ablehnung des Esperanto fast immer anzutreffen.
Die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) hat Esperanto bereits 1956 und 1961 erneut als Schulsprache anerkannt; der Unterricht „in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften“ wurde ausdrücklich anerkannt. In Bayern wurde die Zulassung des Esperanto „als Grundkursfach“ „in der gymnasialen Oberstufe“ vom Unterrichtsministerium am 4. Juli 1980 bestätigt.
Andere Länder sind weiter als Deutschland. Die Universität Budapest hat seit 1966 im Fach Esperantologie Esperanto-Lehrer ausgebildet; an ungarischen Schulen wird Esperanto unterrichtet; 2011 gab es z. B. 8 Abiturienten, die mit Esperanto ihr Abitur machten (http://hvg.hu/karrier/20110501_erettsegi_2011_irasbeli_szobeli_targyak „eszperantóból 8-an“). An den ungarischen Unis ist Esperanto für den Fremdsprachennachweis zugelassen. Seit 2001 wurden in Ungarn über 35.000 staatlich anerkannte Esperanto-Prüfungen abgelegt, siehe etwa https://nyak.oh.gov.hu/doc/statisztika.asp?strId=_43_ .
In Polen ist Esperanto „als Träger der Esperanto-Kultur“ seit 2014 in die Liste der immateriellen Kulturgüter aufgenommen, http://niematerialne.nid.pl/Dziedzictwo_niematerialne/Krajowa_inwentaryzacja/Krajowa_lista_NDK/
In Deutschland ist all das weitgehend unbekannt…
Schulausflüge nach Esperantoland gehen zumeist zu einer der jährlich über 200 internationalen Esperanto-Veranstaltungen, http://eventoj.hu/2018.htm . Es gibt aber auch Esperanto-Schüleraustausch, z. B. zwischen der „Esperanto-Stadt“ Herzberg und ihrer polnischen Partnerstadt Góra.
Auch wenn die Bundesregierung das vielleicht nicht erwähnt: Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen behandelt auch „nicht territorial gebundene Sprachen“; das sind laut Charta „von Angehörigen des Staates gebrauchte Sprachen, die sich von der (den) von der übrigen Bevölkerung des Staates gebrauchten Sprache(n) unterscheiden, jedoch keinem bestimmten Gebiet innerhalb des betreffenden Staates zugeordnet werden können, obwohl sie herkömmlicherweise im Hoheitsgebiet dieses Staates gebraucht werden.“ Dazu würde die Gebärdensprache ebenso wie Esperanto gehören – wenn nicht das Wort „herkömmlicherweise“ dies verhindern würde; die 130 Jahre Geschichte des Esperanto reichen nach der Interpretation der Charta nicht aus für eine solche Zuordnung; bei der Gebärdensprache dürfte das ähnlilch sein.
Hier ist der Text der Charta auf deutsch: https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/090000168007c089
Mit freundlichen Grüßen
Louis v. Wunsch-Rolshoven
EsperantoLand e. V., Vorsitzender
Deutscher Esperanto-Bund e. V., Pressesprecher
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