Bei dem Streit vor dem Amtsgericht in München ging es um einen abgesenkten Kanaldeckel. Die fehlenden zweieinhalb Zentimeter zur Fahrbahnoberfläche wurden einem Fußgänger zum Verhängnis. Er stolperte, stürzte und erlitt eine schmerzhafte Basisfraktur. Dafür verlangte er von der zuständigen kommunalen Gesellschaft knapp 5000 Euro an Schmerzensgeld und Schadenersatz.
Seine Begründung: Bei Überquerung der viel befahrenen Straße müsse man damit rechnen, dass die Fußgänger ihren Blick eher auf das Verkehrsgeschehen richten, um die Straße sicher zu überqueren, als auf den Boden. Es bestünden daher erhöhte Verkehrssicherungspflichten. Diesen Pflichten sei die Versorgungsgesellschaft nicht nachgekommen. Das beklagte kommunale Unternehmen war da anderer Meinung. Hätte der Fußgänger die Straße bei grün überquert, hätte er nicht auf den Verkehr achten müssen und den deutlich erkennbaren Gullydeckel rechtzeitig gesehen. Diese Ansicht vertrat auch das Gericht und wies die Klage ab.
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Aus der Entscheidung des Gerichts
„Die Beklagte hat die ihr für den streitgegenständlichen Bereich zukommende Pflicht, für einen verkehrssicheren Zustand der Straßen zu sorgen, nicht verletzt. (…)
Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass sich der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinzunehmen hat, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (vgl. etwa OLG Brandenburg, Urteil vom 17.03.2009 – 2 U 29/08). Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist nur, was im Interesse des Verkehrs nach objektivem Maßstab billigerweise verlangt werden kann und zumutbar ist. Dabei ist der Verkehrssicherungspflichtige in der Regel gehalten, solche Gefahren zu beseitigen, auf die sich ein die normale Sorgfalt beachtender Fußgänger selbst nicht hinreichend einstellen und schützen kann. Dies gilt vor allem dann, wenn die Gefahr nicht rechtzeitig erkennbar ist. Geringe Höhenunterschiede im Belag eines Gehwegs hat ein Fußgänger jedoch nach ständiger Rechtsprechung hinzunehmen, wobei es eine feste Grenze hierfür nicht gibt.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ist eine Differenz von 2 cm bis 2,5 cm noch hinzunehmen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 17.03.2009 – 2 U 29/08, OLG Celle, Urteil vom 07.03.2001 – 9 U 218/00). Das OLG München nahm mit Urteil vom 03.11.2011 – 1 U 879/11 – sogar bei Vertiefungen von 3 – 4 cm im Bodenbelag eines Dorfplatzes noch keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an und stellte sich auf den Standpunkt, dass ein Straßenbenutzer solche Höhendifferenzen hinzunehmen und sich auf derartige Unebenheiten einzustellen habe. Entscheidend sind jedoch die Gesamtumstände der jeweiligen Örtlichkeit. Dass es sich vorliegend bei der Steinsdorfstraße um eine stark befahrene Straße handelt ist unstreitig. Unstreitig ist ebenfalls, dass sich der abgesackte Gullydeckel in einem Bereich befand, der für die Fußgänger durch eine Ampel geregelt war.
Das Gericht ist nach dem beiderseitigen Parteivortrag davon überzeugt, dass die Umgebung der Unfallstelle schon deswegen, weil es sich um eine stark befahrene Straße handelt, insgesamt von Fußgängern eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Dass diese Aufmerksamkeit allein auf den Querverkehr gelenkt wäre, so dass man nicht mehr auf die Fahrbahnoberfläche achten könne, ist angesichts dessen nicht überzeugend, dass eine Verkehrsregelung durch eine Ampelschaltung vorhanden ist. Bei Grün breitet sich vor dem Fußgänger mithin die gesamte zu überquerende Fahrbahnoberfläche aus und überblickt er diese, wobei abbiegende Fahrzeuge den Fußgängern Vorrang zu gewähren haben. Eine unübersichtliche Verkehrssituation ist hier gerade nicht gegeben. Beim Überqueren der Straße bei grünem Ampelzeichen hat der Fußgänger grundsätzlich die Möglichkeit, sich auf den Überquervorgang zu konzentrieren.
Anders wäre dies etwa in Fußgängerzonen, wo der Fußgänger durch Geschäfte und Schaufenster sowie durch eine große Anzahl von anderen Fußgängern von der Beschaffenheit des Bodenbelags abgelenkt wäre. Den klägerischen Lichtbildern, insbesondere dem als Anlage K1 vorgelegten, ist weiter zu entnehmen, dass sich der abgesackte Gullydeckel schon aufgrund seiner Größe von der restlichen Fahrbahnoberfläche deutlich abgehoben hat und damit auch für die Straße überquerende Fußgänger gut erkennbar war. Bei im Boden eingelassenen Deckeln muss ein sorgfältiger Fußgänger stets damit rechnen, dass an deren Rand Unebenheiten bestehen (vgl. Landgericht Coburg, Urteil vom 14. April 2011 – 21 O 321/10). Auch die zwischenzeitlich erfolgte Einebnung des Gullydeckels ändert nichts an der fehlenden Verpflichtung der Beklagten zu früheren Maßnahmen.“
Urteil v. 21.12.2021, Az.: 182 C 8281/21
Das Urteil ist nach Rücknahme der Berufung rechtskräftig.
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Quelle: PM AG München vom 10.6.2022