Im Online-Casino zocken sich alt und jung um Kopf, Kragen und ihre Zukunft. Und Sportwetten sind das Einfallstor in dieses staatlich geduldete Armageddon. Wer jedoch in seiner Stammkneipe zwischen zwei Bieren ein paar Cent in den Automaten steckt, soll gecoucht werden – vom Wirt höchstpersönlich.
Ralf Wölfer, Betreiber des citynahen „Stadtkruges“ im ostwestfälischen Gütersloh, auch als „Trömmelchen“ alteingeführt, ist auf Neunzig. Nach Rauchverbot, rasant gestiegenen Gebühren für das Sky-Abo, höherer Vergnügungssteuer und erweiterter Dokumentationspflicht soll er jetzt noch als Supervisor und Coach all jene ins Gebet nehmen, die in seiner kleinen Kneipe an den zwei Spielautomaten innerhalb einer Stunde mehr als 60 Euro Verlust machen.
Das ist mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Höchsteinsatz von maximal 2 Euro pro Spiel eigentlich kaum möglich, zumal sich die Gäste mehrheitlich mit dem Minimaleinsatz ab 20 Cent pro Spiel begnügen, um zwischendurch und just for fun auf diese Weise ihr Klein- und Wechselgeld zu verdaddeln: „Die Leute kommen hierher, um in Ruhe ihr Bierchen zu trinken oder Fußball zu gucken. Hier kennt fast jeder jeden, und an der Theke wird auch schon mal gewürfelt oder Karten gespielt. An den Automaten wird allenfalls mal ein bisschen gedaddelt, aus Langeweile vielleicht, mal so zwischendurch zum Zeitvertreib. Aber einen Spieljunkie habe ich hier noch nicht gehabt. Und ich wüsste auch nicht, wie ich den von seiner Sucht abbringen könnte.“
Ein ernstes Gespräch an der Theke
Da soll dem Kneipier fortan geholfen werden. Denn sein Automaten-Aufsteller wird die Geräte demnächst abholen müssen, wenn ihm Wölfer nicht die erfolgreiche Teilnahme an einer speziellen Schulung der Industrie- und Handelskammer Bielefeld nachweisen und bescheinigen kann. Dort soll der Gastwirt lernen, einen potentiell Spielsüchtigen von den existentiellen Gefahren seiner Sucht gleichsam als Coach vor Ort bei Bier und Schnaps zu überzeugen.
Ergänzt werden soll die praxisferne Schulung zudem durch eine monatliche Zwangsabgabe von 29,90 Euro, die Ralf Wölfer auch nicht gerade motiviert: „Es fällt mir schwer, diesen Unsinn auf diese Weise finanziell noch zu unterstützen. Aber auch wenn die Automaten nur gelegentlich bespielt werden, möchte ich sie behalten, weil sie einfach zum Ambiente hier gehören. Soll ich vielleicht auch noch alsbald eine Qualifikation zur Supervision nachweisen, mit der ich meine Gäste von den gesundheitlichen Risiken des Alkoholkonsums überzeugen kann?“
„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“
Diese alte Volksweisheit bestätigt sich auch an dieser Stelle. Denn der Gesetzgeber lässt offensichtlich außer Acht, dass Glücksspiel-Junkies ohnehin nicht unter Beobachtung an den Automaten in der kleinen Kneipe um die Ecke unterwegs sind, sondern in den anonymeren analogen und digitalen Spielcasinos. Und während früher acht von zehn Spielsüchtigen am Automaten gespielt haben, sind es jetzt nur noch fünf von zehn: Drei machen Sportwetten und der Rest verteilt sich auf klassische Spielbanken oder auch auf Poker und vor allem Lotto.
Rund 50 Prozent aller Betroffenen zocken inzwischen ohnehin online. Dort ist das Angebot unüberschaubar. Tausende Portale, Websites und Apps stehen im Netz zur Verfügung, um zu wetten und zu spekulieren. Und seit der staatlich verordneten Öffnung des fiskalisch hochattraktiven Sportwetten-Marktes kommen auch vermehrt Wetten auf sportliche Events hinzu. Während man an einem Spielautomaten max. 60 Euro pro Stunde verlieren und 400 Euro pro Stunde gewinnen kann (danach schaltet das Gerät automatisch ab), können online per Klick und im Bruchteil einer Sekunde leicht 20.000 Euro verzockt und ebenso viel gewonnen werden.
Analog überreglementiert, digital im rechtsfreien Raum
Derzeit gibt es kaum oder gar keine Regelungen für Sportwetten, „jedenfalls keine, die eingehalten werden“. So jedenfalls Jörg Ennuschat, Professor für Verwaltungsrecht an der Ruhr-Universität Bochum und seit Jahren spezialisiert auf das Thema Glücksspiel, in einem ZDF-Interview: „Eigentlich haben wir zwar gesetzliche und staatsvertragliche Vorschriften zu Sportwetten im Glücksspielstaatsvertrag. Deren Konformität mit Europarecht ist aber so umstritten, dass sie nicht angewendet werden dürfen. Im Ergebnis haben wir einen unregulierten Sportwettbereich.“ Vor allem online könnten sich die Anbieter letztlich frei von staatlichen Restriktionen bewegen.
Der Grund ist föderal, denn der gesetzliche Rahmen für das Glückspiel ist Ländersache. Und daran hat sich auch Angela Merkel bisher die Zähne ausgebissen. Bis heute hat es die Kanzlerin in Verhandlungen mit den Bundesländern nicht geschafft, diese dazu zu bringen, sich auf einen praxistauglichen Glücksspielstaatsvertrag zu einigen.
Doppelmoral, die sich auszahlt
Weil die Anbieter von Sportwetten mit Sitz und Lizenz in Malta oder Gibraltar keine deutschen Gesetze beachten müssen, andererseits die Steuereinnahmen des Bundes sich von 84 Mio. Euro in 2012 auf 376 Mio. in 2017 quasi vervierfacht haben, ist es kein Wunder, dass man hier lieber erst mal alles beim alten lässt und dafür den Gütersloher Kneiper schulen will, auf dass er das Thema von unten her angeht.
Insgesamt geht der Deutsche Sportwettenverband (DSW), die Interessenvertretung führender deutscher und europäischer Sportwetten-Anbieter, auf Grundlage der Steuereinnahmen von einem Gesamt-Einsatzvolumen von 7,5 Milliarden Euro allein in 2017 aus. Und unter den Spielenden dürften auch viele Jugendliche sein. Denn über 22 Prozent der 12- bis 17-Jährigen spielen und zocken bereits im Web. Doch während der Leidensdruck bei Süchtigen und Angehörigen dramatisch wächst, ist dieser in der Politik nicht sonderlich groß, da fiskalisch gut honoriert. Noch einmal Jörg Ennuschat: „Nur eine funktionierende Regulierung kann das Spielerschutzniveau festlegen, das der Staat formuliert hat. Daran fehlt es.“
Verbote werden nicht durchgesetzt
Dabei sehen die Beratungsstellen für Glücksspielsüchtige die Sportwetten nur als Einfallstor und Lockmittel für das für die Spieler mehrheitlich noch ruinösere Spiel in Online-Casinos. Die sind nach dem gültigen (aber nur papiernen) Glücksspielstaatsvertrag zwar europarechts- und verfassungskonform eindeutig untersagt. Was fehlt ist allerdings der politische Wille, dieses nützliche Verbot auch durchzusetzen.
So sind die Online-Casinos ungehindert am Markt tätig, während Ralf Wölfel aus Gütersloh im nahen Bielefeld geschult wird, als Coach in seiner Kneipe Gäste auf die Gefahr hinzuweisen, der sie sich (und ihre Angehörigen) aussetzen, wenn Sie im Widerholungsfall ein paar Cent oder gar einen ganzen Euro in den Schlitz werfen.
1 Kommentare
Das passt der Novomatic halt nicht in den Kram wenn andere auch was Verdienen .
Oder sich Politiker nicht kaufen lassen um Gesetze der Novomatic anzupassen wie in Österreich
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