Die Deutschen werden immer älter. Damit steigt für sie das Risiko, zum Pflegefall zu werden und in Pflegeheimen leben zu müssen. Es steigt aber auch das Risiko für ihre Kinder zum Elternunterhalt herangezogen zu werden. Die Eltern werden zum Wohlstandrisiko für ihre Kinder, da diese mit ihrem Einkommen und Vermögen für die entstehenden Pflegekosten der Eltern aufkommen müssen.
Wie hoch dieses Risiko wirklich ist, darüber spreche ich mit Rechtsanwältin Dr. Gudrun Döring-Striening, einer anerkannten Expertin zum Seniorenrecht und zum Elternunterhalt.
Elternunterhalt, wer muss zahlen und warum?
Dr. Doering-Striening: Zahlen muss man als Kind grundsätzlich dann, wenn ein Elternteil seinen notwendigen Bedarf nicht aus eigenem Einkommen und/oder eigenem Vermögen decken kann und man selbst als Kind leistungsfähig ist.
Ist das immer so?
Dr. Doering-Striening: Nein. Es gibt eine Besonderheit, wenn Eltern zu Hause leben und nur die sog. sozialhilferechtliche Grundsicherung bekommen. Dann werden Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber einem Kind nicht berücksichtigt, wenn das Gesamteinkommen des Kindes nicht mehr als 100.000 € beträgt. Das ist eine Jahreseinkommensgrenze ohne Abzüge. Und grundsätzlich wird vermutet, dass Kinder diese Grenze nicht überschreiten. Das gilt aber z.B. nicht bei einem Heimaufenthalt eines Elternteils. Bedürftige Eltern zu Hause müssen also die Grundsicherung des Sozialamtes vorrangig in Anspruch nehmen.
Gibt es spezielle Regelungen für eine Heimunterbringung?
Dr. Doering-Striening: Da gilt, dass kein Mensch abwarten soll, bis seine Kinder leisten. Vielmehr leistet das Sozialamt vor und prüft dann, ob die Kinder eigentlich hätten leisten müssen, nämlich Elternunterhalt. Leistungsfähige Kinder schulden ihren bedürftigen Eltern Elternunterhalt.
Dr. Gudrun Doering-Striening
Fachanwältin für Sozialrecht und Familienrecht
Rüttenscheider Straße 94 – 98
45130 Essen
www.rue94.de
Ab welcher Einkommensgrenze ist ein Kind unterhaltspflichtig?
Dr. Doering-Striening: Ein alleinstehendes Kind muss eine Inanspruchnahme nicht fürchten, wenn sein unterhaltsrechtlich bereinigtes Einkommen 1.800 € nicht überschreitet. Wer mehr hat, wird mit 50 % des überschießenden Betrages in Anspruch genommen.
Ist der Ehepartner auch unterhaltspflichtig für die Schwiegereltern?
Dr. Doering-Striening: Hier gilt: Das unterhaltspflichtige Kind hat einen Selbstbehalt von 1.800 € und dessen Ehegatte einen Selbstbehalt von 1.440 €. Das sind – unterhaltsrechtlich bereinigt – für ein Ehepaar 3.240 €, also nach Abzug von Steuern, Vorsorgeaufwendungen, berufsbedingte Aufwendungen, Kindesunterhalt, Schulden, etc.. Erst wenn man zusammen mehr hat, wird in einer komplizierten Berechnung geklärt, mit welchem Anteil sich das unterhaltspflichtige Kind an seinem eigenen Familienunterhalt beteiligen muss und wieviel dann noch für Elternunterhalt zur Verfügung steht.
Beispiel:
Das unterhaltspflichtige Kind hat netto 1.000 € netto und das Schwiegerkind hat 4.000 €. Das Familieneinkommen beträgt 5.000 € und das unterhaltspflichtige Kind hat daran einen Anteil von 20 %:
5.000 € Familieneinkommen
– 3.240 € abstrakter Familienselbstbehalt
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1.760 € überschießender Anteil
792 € sind 45 % des Überschusses, die den Selbstbehalt erhöhen
Damit beträgt der konkrete Familienselbstbehalt: 3.240 € + 792 € = 4.032 €
Das unterhaltspflichtige Kind muss in der „Haushaltskasse“ 20 % davon abliefern: 806,40 €
Das unterhaltspflichtige Kind hat 1.000 € zu Verfügung. Also bleiben für 193,60 € übrig, die für den Elternunterhalt eingesetzt werden müssen. Das gilt Übrigens auch für eingetragene Lebensgemeinschaften/gleichgeschlechtliche Ehen.
Jeder zahlt also für seine eigenen Eltern mit seinem eigenen Einkommen, richtig?
Dr. Doering-Striening: Ja. Das Schwiegerkind schuldet ja für seine Schwiegereltern nichts. Es wirkt ab und an nur anders, nämlich z.B. dann, wenn man den Elternunterhalt aus dem Taschengeldanspruch des Kindes gegen seinen Ehepartner errechnet.
Was ist mit Vermögenswerten, wie Ersparnissen, Wertpapieren oder Immobilien?
Dr. Doering-Striening: Das Vermögen des Schwiegerkindes ist für den Elternunterhalt nicht angreifbar. Bei Kindern kommt es darauf an. Die selbstbewohnte Immobilie ist geschützt und außerdem Vermögen für die Altersvorsorge und ein sog. Notgroschen. Vieles im Elternunterhalt hängt von den individuellen Einzelheiten ab und man kann hier an dieser Stelle nicht seriös Zahlen nennen.
Im Zusammenhang mit Elternunterhalt ist auch häufig von „Maßnahmen der vorweggenommenen Erbfolge“ die Rede. Was versteht man darunter?
Dr. Doering-Striening: Eltern müssen bedürftig sein, damit sie einen Anspruch auf Elternunterhalt haben. Sie machen sich aber häufiger selbst bedürftig, indem sie Vermögen schon lebzeitig – manchmal auch im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – auf ihre Kinder oder Dritte unentgeltlich übertragen. Wenn der Schenker innerhalb von 10 Jahren seit Vollzug bedürftig wird, dann entsteht ein sog. Schenkungsrückforderungsanspruch. Dieser geht Elternunterhaltsansprüchen vor und auch das Sozialamt leistet in solchen Fällen allenfalls vor.
Eine Übertragung erfolgt aber doch in der Regel aus Dankbarkeit für die langjährige Pflege. Gewissermaßen der verdiente Lohn für die Pflege der Eltern.
Dr. Doering-Striening: Wenn das so ist, dann muss sich das auch irgendwo wiederfinden. Zumeist fehlt es zwischen Eltern und Kindern aber an ausdrücklichen Pflegevereinbarungen. Eine Übertragung von Vermögen zur Belohnung bleibt eine Schenkung. Nur wenn das Kind entlohnt werden sollte, wird aus einer Vermögensübertragung eine entgeltliche. Soweit Vermögen entgeltlich übertragen wird, entsteht kein Schenkungsrückforderungsanspruch.
Zum Abschluss noch eine rechtspolitische Frage. Die Regierungskoalition hat vereinbart, die Einkommensfreigrenze von 100.000 Euro auch auf Heimpflegefälle auszuweiten. Wie ist ihre Meinung dazu?
Dr. Doering-Striening: Grundsätzlich ist die 100.000 Euro-Grenze eine undifferenzierte Lösung. Hinzukommt, dass die Koalitionsvereinbarung nur die Fälle einbezieht, in denen Eltern sozialhilferechtlich Hilfe zur Pflege erhalten.
Nicht einbezogen sind die Eltern, die Eingliederungshilfe erhalten. Das sind z.B. stationär untergebrachte psychisch behinderte Eltern. Kinder, die solche Eltern haben, sind nicht nur wenige Jahre in der Unterhaltspflicht, sondern z.T. über Jahrzehnte. Bei Eltern, die volljährige behinderte Kinder haben, hat der Gesetzgeber den Rückgriff auf Eltern aus sozialen Gründen bis auf einen relativ kleinen Betrag begrenzt. Um diese Fälle müsste sich der Gesetzgeber meines Erachtens vorrangig kümmern.
R.B.: Frau Dr. Doering-Striening, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Sehen Sie hierzu auch unser Video-Interview mit Rechtsanwältin Dr. Gudrun Doering-Striening zum Thema Elternunterhalt.