Angesichts des aktuellen Gas-Rinnsals aus Rußland haben Diskussionen über die Zuteilung der begehrten Ressource im Falle einer Rationierung begonnen. Die Wirtschaft warnt vor Entlassungen, Verbraucherverbände pochen auf Versorgungsgarantien und die Länder wollen bei der Gaszuteilung mitbestimmen.
Ramona Pop, die Chefin des Bundesverbandes der Verbraucherzentrale (VZBV), sagte zu möglichen Lieferbeschränkungen: „Die Diskussion um eine Gaspriorisierung halte ich für brandgefährlich. Wir dürfen Arbeitsplätze nicht gegen Wohnungen ausspielen, sondern brauchen Solidarität beim Thema Energiesparen.“ Pop warnt in einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor einer derartigen Debatte und erinnerte dran, dass klare rechtliche Grundlagen existieren würden, wonach soziale Infrastruktur und Privathaushalte geschützt seien.
Wirtschaft warnt vor Entlassungen
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, hat eine andere Sicht. „Ganz wichtig ist, dass der Vorrang der Privathaushalte bei der Gasversorgung fällt“, so Wolf gegenüber der Funke-Mediengruppe. Er rechnet für den Herbst mit einem vollständigen Stopp der russischen Gaslieferungen. Bei einer Gasrationierung müsse die Industrie weiter versorgt werden, ansonsten seien „hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet“, so Wolf. Die Bundesregierung müsse sich dabei zur Not über das geltende EU-Recht hinwegsetzen.
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Unterstützung bekommt Wolf vom Geschäftsführer der IHK München-Oberbayern, Manfred Gößl. Der erklärte bei Bild: „Wenn die Strompreise für die Industrie nicht runtergehen, könnten tausende Jobs in Bayern, zehntausende Jobs in Deutschland, auf der Kippe stehen“.
Gößl: „Wenn Putin uns dann noch den Gashahn ganz zudreht, wären alleine in Bayern eine Millionen Arbeitsplätze direkt und indirekt in Gefahr. Deutschlandweit stünden dann schätzungsweise über fünf Millionen Jobs auf der Kippe“.
Dritte Gasnotfallstufe = Rationierung
Auch der Bundesregierung ist der Ernst der Lage bewußt. Für den Fall eines Gasmangels erwartet die Bundesregierung, 24 Stunden vorher von den Versorgern benachrichtigt zu werden. Dann würde das Bundeskabinett die 3. Gasnotfallstufe ausrufen und die Bundesnetzagentur mit der Rationierung beginnen. Zu einer möglichen Priorisierung von Unternehmen gibt es bislang aber kaum politische Festlegungen.
Union bemängelt fehlende Richtlinien
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende und energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion, Andreas Jung, fordert von der Bundesregierung die Vorgabe klarer Richtlinien. Im Notfall wäre die Frage zentral, „welche Branchen, Produktgruppen und Lieferketten systemrelevant sind und deshalb priorisiert werden“, meint Jung. Hier gehe es um „Wertentscheidungen“, die nicht von einem Behördenchef getroffen werden könnten.“
Länder wollen Mitsprache
Mehrere Länder fordern eine Mitsprache bei den Entscheidungen der Bundesnetzagentur. „Das Eintreten einer Gasmangellage hätte erhebliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen“, sagt Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Das könne nicht einer Bundesbehörde alleine überlassen werden. „Der Bund sollte bei der Festlegung der Grundlinien für eine Priorisierung von Gaslieferungen die Länder einbeziehen“, so Tschentscher gegenüber der Welt.
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Auch aus Berlin kommen kritische Töne. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) beklagt eine fehlende Einbeziehung bei Fragen, welche die Länder betreffen. Das bisherige Vorgehen der Bundesnetzagentur lasse dies „völlig vermissen“. Und ein Sprecher der saarländischen Landesregierung erklärt: Bei einer Gasmangellage seien „weitreichende Abwägungen“ zu treffen. Dies würde „erhebliche gesellschaftliche, politische und soziale Auswirkungen“ haben, was überparteilich zwischen Bund und Ländern beraten werden müsse.
Energiegipfel soll es richten
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert angesichts der kritischen Lage einen Energiegipfel im Kanzleramt. „In einem Energiesparpakt gilt es, nun solidarisch so viel wie möglich Energie einzusparen“, meint die die energiepolitische Sprecherin der Fraktion, Nina Scheer. „Bei einem Energiegipfel im Kanzleramt sollten Bund, Länder, Kommunen und Stadtwerke alle Optionen auf den Tisch legen und damit Ressourcen bündeln“, erklärte Scheer in der Rheinischen Post. Je mehr man einspare, desto besser komme man über den Winter. Für Privathaushalte brauche es zusätzliche Sparanreize, wie einen Energiesparbonus.
Millionen kalte Wohnungen ?
Wie hoch der Handlungsdruck ist zeigt eine interne Schaltkonferenz vom letzten Mittwoch (3.8.) die Bild bekannt wurde. Teilnehmer waren Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, die Chefs der Staatskanzleien der Bundesländer, Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller und Vertreter mehrerer Bundesministerien. Sie befürchten den Ausfall von Millionen Heizungen im Winter. Das Problem seien Druckschwankungen in den Gasnetzen. Ist dieser zu gering, schalten sich Gasheizungen ab. Für einen Neustart sind meist Handwerker erforderlich, um wieder heizen zu können. Solange sitzen die Betroffenen in kalten Wohnungen.
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Quelle: dts-Material