Es knirscht im Gebälk der deutschen Gewaltenteilung. Die Präsidentin des höchsten deutschen Arbeitsgerichts wirft der Politik vor, die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gefährden und ein Freiburger Rechtswissenschaftler kritisiert den gesetzgeberischen Umgang mit der Corona-Krise.
Die scheidende Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Ingrid Schmidt, wirft der Bundesregierung vor, die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gefährden. „Die Bundesgerichte sind weitgehend führungslos“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Die BAG-Chefin geht Ende des Monats in den Ruhestand und die Nachfolge ist immer noch nicht geklärt.
Geheimsache Pensionsalter
„Mein Pensionsalter und das meiner Kollegen beim Bundesfinanzhof und dem Bundesverwaltungsgericht muss ein gut gehütetes Geheimnis gewesen sein“, so die Juristin, die darauf verweist, daß nach den Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) eine Neubesetzung derart wichtiger Richterstellen „unverzüglich“ in Angriff genommen werden muss. Von fünf Bundesgerichten hätten ab Oktober nur noch der Bundesgerichtshof und das Bundessozialgericht eine reguläre Führung.
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Bei der Neubesetzung der Stellen entscheidet die Bundesregierung zwar nicht allein, sondern es gibt ein mehrstufiges, geregeltes Verfahren dafür – sie hat aber die Federführung, ohne ihre Initiative läuft nichts, erklärt Schmidt. Die „Belastung durch einen Wahlkampf oder Uneinigkeit über personelle Vorschläge dürften dazu ebenso wenig zählen wie das Nachdenken über Änderungen eines bewährten Anforderungsprofils für Vorsitzende an obersten Bundesgerichten“, meint die scheidende BAG-Präsidentin.
Wie eilig ist ein Eilantrag ?
Der Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek kritisiert das für den Rechtsstaat „potenziell schädliche Verhalten“ des Verfassungsgerichts. Dieses habe bereits seit April diesen Jahres noch nicht über seine Verfassungsbeschwerde gegen die „Bundesnotbremse“ entschieden.
Sein Eilantrag wurde abgewiesen. Murswiek dazu: „Einem Eilantrag muss stattgegeben werden, wenn er aus einem `wichtigen Gemeinwohlgrund` dringend geboten ist. Hier würde das Recht auf individuellen Rechtsschutz und das Rechtsstaatsprinzip in schwerwiegender Weise verletzt. „Warum das kein wichtiger Grund des Gemeinwohls sein soll, bleibt das Geheimnis der Kammer“, so der Staatsrechtler bei Bild.
Rechtsexperte beklagte Untätigkeit
Der Verfassungsexperte rügt in der Zeitung auch die Untätigkeit der Karlsruher Richter: „In der Coronakrise sind die Grundrechte der gesamten Bevölkerung in einem solchen Ausmaß eingeschränkt worden, wie es dies in einem Rechtsstaat zu Friedenszeiten noch nie gegeben hat. Dass das Bundesverfassungsgericht nach fast anderthalb Jahren noch immer nicht mit einer Leitentscheidung Richtlinien für den rechtlichen Umgang mit einer solchen Ausnahmelage gegeben hat, wird das Ansehen des Gerichts nachhaltig schädigen.“ Durch die Corona-Politik der Bundesregierung sei „das Rechtsstaatsprinzip bereits schwer beschädigt“ worden, so der ehemalige Dekan der rechtwissenschaftlichen Fakultät in Freiburg.
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Quelle: dts-Material